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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Wochenlohn einzubehalten, aber das war ihr egal; es bedeutete ohnehin nichts, da er mit ihren Lohnzahlungen bereits drei Wochen im Verzug war. Nach der Trennung von Gideon am vergangenen Abend hatte sie gehofft, er würde zu ihr hinunterkommen, sobald der Polizist abgehauen war; aber er hatte sich nicht blicken lassen, und sie hatte daraufhin so schlecht geschlafen, dass sie nun tatsächlich fast krank war. Von einer Grippe zu sprechen war also nicht ganz die Unwahrheit.
    Nachdem sie aufgestanden war, lief sie die ersten drei Stunden im Trainingsanzug in ihrer Wohnung herum und horchte angestrengt nach oben, um zu hören, ob sich dort etwas rührte. Schließlich gab sie ihre Lauschversuche auf - obwohl von »Lauschen« ja eigentlich keine Rede sein konnte, wenn es ihr einzig darum ging, von Gideon gewissermaßen ein Lebenszeichen zu vernehmen - und beschloss, sich persönlich zu vergewissern, dass es Gideon gut ging. Er war ja gestern, noch bevor der Bulle aufgekreuzt war, total fertig gewesen. Wer konnte wissen, wie es ihm ging, nachdem der Bulle sich verzogen hatte.
    Du hättest gleich nach ihm schauen sollen, sagte sie sich, und gerade ihr Bemühen, nicht darüber nachzudenken, warum sie nicht nach ihm gesehen hatte, zwang sie unerbittlich, sich dieser Frage zu stellen.
    Er hatte ihr Angst gemacht. Er war so unglaublich daneben gewesen. Sie hatte im Schuppen und nachher in der Küche mit ihm zu sprechen versucht, und er hatte ihr auch geantwortet - irgendwie jedenfalls -, aber er war trotzdem so abwesend gewesen, dass sie sich gefragt hatte, ob er nicht in die Psychiatrie gehörte. Vorübergehend wenigstens. Und prompt war sie sich daraufhin so unloyal vorgekommen, dass sie ihm nicht mehr ins Gesicht blicken konnte. Jedenfalls redete sie sich das ein, als sie später den ganzen Abend vor der Glotze saß und sich auf Sky TV alte Filme anschaute und dazu zwei große Tüten Cheddar-Popcorn verdrückte, die sie besser nicht angerührt hätte. Am Schluss war sie allein zu Bett gegangen und hatte sich die ganze Nacht herumgewälzt, wenn sie nicht gerade kinoreife Albträume gehabt hatte.
    Nachdem sie also stundenlang in ihrer Wohnung herumgelaufen war, den Bund Stangensellerie aus dem Kühlschrank gekramt hatte, der ihr schlechtes Gewissen wegen des Käsepopcorns beruhigen sollte, und sich angeschaut hatte, wie sich Kilroy mit Frauen unterhielt, deren Ehemänner jung genug waren, um ihre Söhne und in zwei Fällen ihre Enkel sein zu können, ging sie nach oben, um nach Gideon zu sehen.
    Sie fand ihn im Musikzimmer, wo er, den Rücken an die Wand gelehnt, auf dem Boden unter der Fensterbank hockte. Die Beine waren zur Brust hoch gezogen, und das Kinn ruhte auf den Knien. Er sah aus wie ein kleiner Junge, dem eben ein wütender Vater eine Strafpredigt gehalten hatte. Überall um ihn herum lagen Papiere, Fotokopien von Zeitungsberichten, die, wie sich zeigte, alle dasselbe Thema behandelten. Gideon war noch einmal im Pressearchiv gewesen.
    Er beachtete sie nicht, als sie ins Zimmer kam. Er war völlig auf die Zeitungsausschnitte konzentriert, und sie fragte sich, ob er sie überhaupt hörte. Sie sprach ihn an, aber seine einzige Reaktion bestand darin, dass er begann, vor und zurück zu schaukeln.
    Nervenzusammenbruch, dachte sie erschrocken. Total durchgedreht. So sah es auf jeden Fall aus. Es war das gleiche wie am vergangenen Tag, und auch er hatte offenbar die Nacht nicht geschlafen.
    »Hey«, sagte sie leise. »Was ist, Gideon? Warst du noch mal unten in der Victoria Street? Warum hast du mir nichts davon gesagt? Ich wär mitgekommen.«
    Sie musterte die Papiere, die im Halbkreis um ihn verstreut lagen, übergroße Blätter, auf denen kreuz und quer die Artikel abgelichtet waren. Die britischen Zeitungen waren - entsprechend der nationalen Tendenz zum Fremdenhass - gnadenlos über das Kindermädchen hergefallen. Wenn sie nicht verächtlich als »die Deutsche« bezeichnet wurde, dann als »die ehemalige Kommunistin, deren Familie unter dem Regime besonders gut lebte« - um nicht zu sagen, »verdächtig« gut, dachte Libby sarkastisch. Eine Zeitung hatte die sensationelle Neuigkeit ausgegraben, dass ihr Großvater der Nationalsozialistischen Partei angehört hatte, während eine andere eine Fotografie ihres Vaters in der Kleidung des Hitlerjungen aufgestöbert hatte.
    Unfassbar war die unermüdliche Bereitschaft der Presse, eine Story bis ins letzte Detail auszuschlachten! Libby hatte den Eindruck, dass jeder, der nur

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