11 - Nie sollst Du vergessen
Die Anwältin hat es bestätigt, als ich sie angerufen hab.« Seine Miene verriet wohl etwas von seiner Bekümmerung, denn Lynley musterte ihn einen Moment lang sehr aufmerksam, und er fühlte sich dabei so elend wie ein Kind, das den geliebten Vater enttäuscht hat.
»Aber Sie schienen ganz sicher zu sein, als wir miteinander sprachen«, bemerkte Lynley, »und im Allgemeinen trügt Ihr Gefühl Sie doch nicht. Wissen Sie genau, dass Sie mit der Anwältin gesprochen haben, Winston? Die Wolff kann Ihnen ja auch die Nummer einer Freundin angedreht haben, die Ihnen dann etwas vorgespielt hat.«
»Sie hat mir die Visitenkarte der Anwältin gegeben«, erklärte Nkata. »Und kennen Sie einen Anwalt, der für seinen Mandanten lügen würde, wenn die Polizei auf ihre Frage nur ein Ja oder Nein hören will? Aber ich bin trotzdem überzeugt, dass die beiden Frauen etwas verheimlichen. Ich hab nur nicht die richtige Taktik angewendet, um es rauszukriegen.« Und weil seine Bewunderung für Lynley immer stärker sein würde als sein Wunsch, in den Augen seines Vorbilds gut dazustehen, fügte er hinzu: »Ich hab's völlig falsch angepackt und total vermasselt. Das nächste Mal sollte besser jemand anders mit ihnen reden.«
Barbara sagte mitfühlend: »Mensch, Winnie, so was hab ich mehr als einmal geschafft«, und Nkata warf ihr einen dankbaren Blick zu. Sie hatte tatsächlich vor noch gar nicht langer Zeit so gründlich gepatzt, dass sie vorübergehend vom Dienst suspendiert und danach zurückgestuft worden war und nun wahrscheinlich jede Chance zum Aufstieg bei der Metropolitan Police verloren hatte. Aber sie hatte in dem ganzen Schlamassel wenigstens einen Killer gestellt, während er selbst nur zusätzlich Sand ins Getriebe gestreut hatte.
»Gott, ja«, sagte Lynley. »Das kennen wir doch alle. Lassen Sie sich deswegen keine grauen Haare wachsen, Winston. Das bekommen wir schon hin.« Aber Nkata hörte doch, dass er enttäuscht war, wenn auch vielleicht nicht halb so enttäuscht wie seine Mutter es sein würde, wenn er ihr berichtete, was geschehen war.
»Aber mein Junge«, würde sie sagen, »was hattest du denn da im Kopf?«
Und genau diese Frage wollte er lieber nicht beantworten.
Er versuchte, sich auf die Zusammenfassung der morgendlichen Lagebesprechung, die er versäumt hatte, zu konzentrieren. Man wusste mittlerweile die Namen sämtlicher Personen, mit denen Eugenie Davies den Unterlagen der Telefongesellschaft zufolge telefoniert hatte. Ebenso waren die Anrufer identifiziert, die Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen hatten. Die Frau, die sich Lynn genannt hatte, hatte sich als eine gewisse Lynn Davies entpuppt.
»Eine Verwandte?«, fragte Nkata.
»Das müssen wir noch feststellen.«
Sie wohnte in der Nähe von Dulwich.
»Havers wird sich mit der Dame unterhalten«, sagte Lynley und berichtete weiter, dass der unbekannte Mann, der über den Anrufbeantworter so zornig gefordert hatte, Eugenie Davies möge endlich den Hörer abheben, ein gewisser Raphael Robson war, der, in Gospel Oak wohnhaft, näher an dem Schauplatz des Mordes lebte als jeder andere, ausgenommen natürlich J. W. Pitchley.
»Ich werde mir Robson vorknöpfen«, schloss Lynley und fügte hinzu, »und ich möchte Sie dabei haben, Winston«, als wusste er schon, dass Nkata mit seinem angeschlagenen Selbstwertgefühl jetzt Ermutigung brauchte.
»In Ordnung«, sagte Nkata, während Lynley bereits mit seinem zusammenfassenden Bericht fortfuhr. Die Unterlagen der British Telephone Company hatten Richard Davies' Aussage über mehr oder weniger regelmäßige Telefongespräche mit seiner geschiedenen Frau in den letzten Monaten bestätigt. Das erste Gespräch hatte Anfang August stattgefunden, etwa zu der Zeit, als der gemeinsame Sohn das Konzert in der Wigmore Hall hatte platzen lassen, und das letzte am Morgen vor Eugenie Davies' Tod, als Richard Davies sie kurz angerufen hatte. Ebenso bestätigten die Unterlagen häufige Anrufe von Ian Staines, sagte Lynley gerade abschließend, als die drei in ihrer kleinen Privatkonferenz gestört wurden.
»Kann ich Sie drei mal kurz sprechen?«, erklang es von der Tür, und als sie sich herumdrehten, sahen sie, dass Leach noch einmal in den Besprechungsraum zurückgekehrt war. Er hielt einen Zettel in der Hand, den er in Richtung Korridor schwenkte, als er sagte: »In meinem Büro, wenn es Ihnen recht ist.« Danach verschwand er einfach, überzeugt, dass sie ihm folgen würden.
»Wie kommen Sie
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