11 - Nie sollst Du vergessen
folgend fragte sie sich natürlich als Nächstes, ob sie selbst nicht auch das Gericht Gottes fürchten müsse.«
»Weil sie einen Mann geheiratet hatte, der ›in Sünde‹ gelebt hatte?«
»Nein, nein. Weil ihre Ehe mit ihm nicht in der Kirche geschlossen worden war.«
»Hat die Kirche es nicht gestattet?«
»Es ging nie darum, ob die Kirche es gestattet oder nicht. Richard Davies wollte einfach keine kirchliche Trauung, also fand auch keine statt. Die beiden haben nur standesamtlich geheiratet.«
»Aber hat denn Mrs. Davies als Katholikin nicht auch eine kirchliche Trauung gewünscht? Hätte sie sich nicht kirchlich trauen lassen müssen? Ich meine, damit Gott und der Papst mit ihr einverstanden gewesen wären.«
»Das ist schon richtig, Constable. Aber Eugenie Davies war eine Katholikin nach eigener Fasson.«
»Und was heißt das?«
»Das heißt, dass sie einige Sakramente empfing und andere nicht; einige Lehren akzeptierte und andere nicht.«
»Aber muss man denn beim Eintritt in die Kirche nicht auf die Bibel schwören, dass man sich an die Regeln halten wird oder so was? Ich meine, wir wissen, dass sie nicht katholisch erzogen wurde - nimmt denn die Kirche Mitglieder auf, die sich an einige Regeln halten und an andere nicht?«
»Sie dürfen nicht vergessen, dass die Kirche nicht über eine Geheimpolizei verfügt, die ihre Mitglieder überwacht, Constable«, antwortete die Nonne. »Gott hat jedem von uns ein Gewissen gegeben, damit wir unser Verhalten überprüfen können. Es ist eine Tatsache, dass es viele Themen gibt, zu denen einzelne Katholiken eine andere Meinung haben als die heilige Mutter Kirche, aber ob deshalb ihr Seelenheil gefährdet ist, das könnte nur Gott selbst uns sagen.«
»Mrs. Davies hat aber offenbar geglaubt, dass Gott die Sünder schon zu ihren Lebzeiten straft, sonst wäre sie doch nicht auf die Idee gekommen, Virginia könnte Richard und Lynn von Gott als Strafe gesandt worden sein.«
»Nun, wir wissen doch, dass es von den Leuten häufig so interpretiert wird, wenn jemanden ein Schicksalsschlag trifft. Aber denken Sie an Hiob. Welche Sünde hatte er begangen, dass er von Gott so schwer geprüft wurde?« »Beischlaf zur Linken?«, meinte Barbara. »Ich kann mich nicht erinnern.«
»Sie können sich nicht erinnern, weil es keine Sünde gab. Nur die grausamen Prüfungen seines Glaubens an Gott.« Schwester Cecilia wischte sich die Kekskrümel an den Fingern am groben Stoff ihres Rocks ab und griff nach ihrer Teetasse.
»Haben Sie das damals Mrs. Davies so erklärt?«
»Ich sagte ihr, wenn Gott sie strafen wollte, hätte er ihr sicher nicht als erste Frucht ihrer Ehe mit Richard Davies Gideon gegeben, ein kerngesundes Kind.«
»Und wie war es mit Sonia?«
»Sie meinen, ob sie das Kind als die Strafe Gottes für ihre Sünden betrachtete? Gesagt hat sie es nie, aber ihrer Reaktion nach zu urteilen, als sie von der Krankheit der Kleinen erfuhr ... Und als sie dann nach dem Tod des Kindes überhaupt nicht mehr zur Kirche kam ...« Schwester Cecilia hob seufzend ihre Tasse zum Mund und hielt nachdenklich inne. Schließlich sagte sie: »Wir können nur Mutmaßungen anstellen, Constable. Wir können nur aus den Fragen, die sie in Bezug auf Lynn und Virginia gestellt hat, zu schließen versuchen, wie es ihr selbst erging und was sie möglicherweise glaubte, als ihr eine ähnliche Prüfung auferlegt wurde.«
»Was war mit den anderen?«
»Mit welchen anderen?«
»Den übrigen Mitgliedern der Familie. Hat sie darüber gesprochen, wie sie reagierten? Auf die Sache mit Sonia, als sie davon erfuhren ...?«
»Nein, darüber hat sie nie etwas gesagt.«
»Lynn Davies hat mir erzählt, dass sie auch wegen Richard Davies' Vater gegangen ist. Bei dem waren angeblich mehrere Schrauben locker, aber wiederum nicht so locker, dass er ihr und dem Kind das Leben nicht zur Hölle machen konnte.«
»Eugenie hat nie über die Familie gesprochen.«
»Sie hat nie erwähnt, dass es Leute gab, die Sonia nicht haben wollten? Wie, zum Beispiel, Richard oder sein Vater oder sonst jemand?«
Schwester Cecilias blaue Augen weiteten sich. »Heilige Maria und Josef«, sagte sie. »Nein. Aber nein! In diesem Haus lebten keine bösen Menschen. Menschen mit Sorgen, ja. So wie wir alle von Zeit zu Zeit unsere Sorgen haben. Aber ein kleines unschuldiges Kind nicht haben zu wollen, so dass vielleicht einer von ihnen ...? Nein. Das kann ich von keinem von ihnen glauben.«
»Aber jemand hat die Kleine
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