11 - Nie sollst Du vergessen
zum Himmel auf.«
»Ach so, ja.«
»Sie kennen das Alte Testament nicht?«
»Nur die Stellen, wo es ums Beiwohnen, Erkennen und Zeugen geht. Da kann ich die meisten auswendig.«
Schwester Cecilia lachte und lehnte ihren Rechen an eine Bank, die ganz um den Stamm der großen Platane herumreichte.
»Ja, Beischlaf und Zeugung wurden damals sehr eifrig betrieben, nicht wahr? Aber die guten Leute mussten es ja auch anpacken, sie hatten schließlich den Befehl bekommen, die Welt zu bevölkern.«
Barbara lächelte. »Kann ich Sie kurz sprechen?«
»Gern. Aber Sie möchten sicher lieber hineingehen, nicht wahr?« Die Nonne wartete nicht auf eine Antwort, sondern sagte zu ihrer Gefährtin: »Schwester Rose, darf ich Sie eine Viertelstunde mit der Arbeit allein lassen?«, und ging, als diese nickte, Barbara voraus zu einer kurzen Betontreppe, die sie zur Hintertür des braunen Backsteingebäudes führte.
Sie schritten einen Korridor mit Linoleumboden hinunter zu einer Tür, auf der »Besucherzimmer« stand. Schwester Cecilia klopfte kurz an, und als es hinter der Tür still blieb, öffnete sie diese und sagte: »Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee, Constable? Oder lieber Kaffee? Ein paar Kekse sind sicher auch da.«
Barbara lehnte dankend ab. Sie wolle nur kurz mit ihr sprechen, erklärte sie der Nonne.
»Sie haben nichts dagegen, wenn ich ...?« Schwester Cecilia wies auf einen elektrischen Wasserkocher, der neben einer Dose Earl-Grey-Tee und diversen, bunt zusammengewürfelten Tassen und Untertassen auf einem zerkratzten Plastiktablett stand. Sie schaltete den Wasserkocher ein und nahm aus der obersten Schublade einer kleinen Kommode eine Schachtel Würfelzucker, gab drei Stück in eine Tasse und sagte zu Barbara: »Ich habe eine Schwäche für Süßigkeiten. Aber Gott vergibt uns allen unsere kleinen Laster. Ich muss allerdings sagen, dass ich ein weniger schlechtes Gewissen hätte, wenn Sie wenigstens einen Keks nähmen. Es sind kalorienarme - oh, damit will ich natürlich keinesfalls sagen, dass Sie es nötig haben -«
»Ist schon in Ordnung«, unterbrach Barbara. »Ich nehme gern einen Keks.«
Schwester Cecilia lachte spitzbübisch. »Aber es gibt immer nur zwei in einem Päckchen, Constable.«
»Dann geben Sie mal her. Ich werd das schon schaffen.«
Als der Tee fertig war, gesellte sich Schwester Cecilia mit ihrer Tasse und einer Untertasse, auf der ihre Keksration lag, zu Barbara. Sie setzten sich in zwei Kunstledersessel an ein Fenster mit Blick in den Garten, wo Schwester Rose immer noch fleißig arbeitete. Zwischen ihnen stand ein niedriger Tisch, auf dem verschiedene religiöse Zeitschriften und eine sehr abgegriffene Elle lagen.
Barbara berichtete der Nonne von ihrem Gespräch mit Lynn Davies und fragte, ob sie von dieser früheren Ehe und dem ersten Kind von Richard Davies gewusst habe.
Ja, bestätigte Schwester Cecilia, davon habe sie seit langem gewusst; sie habe kurz nach Gideons Geburt durch Eugenie von Lynn und »diesem armen kleinen Seelchen« gehört. »Für Eugenie war es natürlich ein Schock, Constable. Sie hatte bis dahin nicht einmal gewusst, dass Richard Davies geschieden war. Sie hat sehr viel über die Bedeutung der Tatsache nachgedacht, dass er nicht vor der Heirat mit ihr über seine erste Ehe gesprochen hatte.«
»Sie muss sich doch betrogen gefühlt haben.«
»Ach Gott, der persönliche Aspekt der Unterlassung kümmerte sie weniger. Jedenfalls hat sie mit mir darüber nicht gesprochen. Es waren die kirchlichen und religiösen Aspekte, mit denen Eugenie in den ersten Jahren nach Gideons Geburt rang.«
»Was für Aspekte waren denn das?«
»Nun, die Kirche betrachtet die Ehe als einen unauflösbaren Bund zwischen einem Mann und einer Frau.«
»Und hatte Mrs. Davies Angst, die Ehe ihres Mannes mit ihr - seine zweite Ehe! - könnte in den Augen der Kirche ungültig sein? Und die Kinder aus dieser Ehe würden nicht als eheliche Kinder anerkannt werden?«
Schwester Cecilia trank einen Schluck Tee. »Ja und nein«, antwortete sie. »Die Situation wurde durch die Tatsache verkompliziert, dass Richard Davies nicht katholisch war. Er gehörte gar keinem Glauben an, der arme Mensch. Er hatte sich auch nicht kirchlich trauen lassen, darum lautete Eugenies eigentliche Frage, ob er nicht mit seiner ersten Frau Lynn in Sünde zusammengelebt hatte und ob nicht das Kind aus dieser Verbindung - das dann ja in Sünde gezeugt worden wäre - vom Gericht Gottes gezeichnet sei. Und daraus
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