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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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brillant, aber ich weiß, dass ich ihn übertrumpfen werde. Schon an diesem Tag weiß ich das.
    Was ist mit Ihrer Mutter?, fragen Sie.
    Sie ist sehr viel oben.
    In ihrem Zimmer?
    Nein. Nein. Im Kinderzimmer.
    Im Kinderzimmer? Warum denn das?
    Und ich weiß die Antwort. Ich weiß sie. Wo hat sich dieses Wissen all die Jahre versteckt? Wieso ist es auf einmal wieder da?
    Meine Mutter ist bei Sonia.

8. September
    Es sind Lücken da, Dr. Rose. In meinem Gedächtnis existieren sie als unvollständige Bilder, in Umrissen, aber größtenteils schwarz.
    Sonia ist Teil eines solchen Bildes. Ich erinnere mich jetzt der Tatsache, dass es sie gab - Sonia - und dass sie meine jüngere Schwester war. Sie ist sehr jung gestorben. Auch daran erinnere ich mich.
    Das wird wohl der Grund sein, warum meine Mutter morgens bei der Frühmesse stets weinte. Und Sonias Tod muss zu den Themen gehört haben, über die bei uns nicht gesprochen wurde. Über ihren Tod zu sprechen, hätte meine Mutter von neuem in Kummer und Leid gestürzt, und das wollten wir ihr ersparen.
    Ich versuche ein Bild von Sonia heraufzubeschwören, aber es ist nichts da. Nur eine leere Leinwand. Und wenn ich versuche mich in Verbindung mit irgendwelchen besonderen Ereignissen an sie zu erinnern - mit Weihnachten oder Ostern oder der alljährlichen Taxifahrt mit Großmutter zum Geburtstagslunch bei Fortnum and Mason, irgendetwas, ganz gleich, was - stoße ich auch nur auf Leere. Da ist einfach gar nichts. Nicht einmal den Tag, an dem sie starb, habe ich im Gedächtnis. Auch ihre Beerdigung nicht. Ich weiß nur, dass sie starb, weil sie auf einmal nicht mehr da war.
    Genau wie Ihre Mutter, Gideon?, fragen Sie.
    Nein. Anders. Es fühlt sich jedenfalls ganz anders an. Sie war meine Schwester, und sie starb sehr früh, das ist das Einzige, was ich mit Gewissheit weiß. Nach ihrem Tod verließ uns meine Mutter. Ob es bald danach war oder erst Monate oder Jahre später, kann ich nicht sagen. Aber wie kommt es, dass ich mich an meine Schwester nicht erinnern kann? Was ist ihr zugestoßen? Woran sterben Kinder? An Krebs, Leukämie, Scharlach, Influenza, Lungenentzündung ... Woran noch?
    Das ist das zweite Kind, das starb, sagen Sie.
    Wie? Was meinen Sie? Das zweite Kind?
    Das zweite Kind Ihres Vaters, das starb, Gideon. Sie haben mir doch von Virginia erzählt ...
    Kinder sterben, Dr. Rose. Das kommt immer wieder vor. Jeden Tag. Kinder werden krank. Und Kinder sterben.

3
    »Ich frage mich wirklich, wie die Frau vom Partyservice hier zurecht gekommen ist«, sagte Frances Webberly. »Für uns ist die Küche natürlich gut genug. Wir würden einen Geschirrspüler oder eine Mikrowelle wahrscheinlich gar nicht benutzen, wenn wir so etwas hätten. Aber der Partyservice ... Diese Leute sind doch bestimmt allen modernen Komfort gewöhnt. Das wird eine schöne Überraschung für die arme Frau gewesen sein, als sie hier ankam und unsere museumsreife Küche sah.«
    Malcolm Webberly, der am Tisch saß, antwortete nicht. Er hatte die betont lebhafte Rede seiner Frau natürlich gehört, aber in Gedanken war er ganz woanders. Um ein Gespräch abzubiegen, nach dem ihm jetzt nicht der Sinn stand, hatte er sich in die Küche zurückgezogen und angefangen, seine Schuhe zu putzen. Er hoffte, Frances, die ihn seit mehr als dreißig Jahren kannte und wusste, wie sehr er es hasste, zwei Dinge gleichzeitig zu tun, würde ihn, wenn sie ihn bei der Arbeit sah, in Ruhe lassen.
    Er wünschte sich sehr, in Ruhe gelassen zu werden; seit dem Augenblick, als Eric Leach gesagt hatte: »Male, tut mir Leid, Sie so spät noch zu stören, aber ich wollte es Ihnen persönlich mitteilen«, und ihm dann von Eugenie Davies' Tod berichtet hatte. Er brauchte Zeit für sich, um sich mit seinen Gefühlen auseinander zu setzen. Eine schlaflose Nacht an der Seite seiner sanft schnarchenden Frau hatte ihm zwar Gelegenheit gegeben, darüber nachzudenken, was das Wort Fahrerflucht bei ihm auslöste, aber sich Eugenie Davies' Tod vorzustellen, war ihm unmöglich gewesen. Wenn er an sie dachte, sah er sie stets so, wie er sie das letzte Mal gesehen hatte: am Fluss, im Wind, mit flatterndem blondem Haar. Sie hatte sich sofort ein Kopftuch umgebunden, als sie aus dem Haus gekommen war, aber beim Spaziergang hatte es sich gelockert, und als sie es abgenommen hatte, um es neu zu falten und zu binden, hatte der Wind ihr Haar erfasst und kräftig durcheinander geblasen.
    »Lass es doch so«, hatte er zu ihr gesagt. »Wenn das Licht

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