11 - Nie sollst Du vergessen
angekommen.
»Zwei Jahre alt«, berichtete er mit tonloser Stimme. »Der Vater hat es mit Mund-zu-Mund-Beatmung versucht, und die Sanitäter haben getan, was sie konnten.« Er schüttelte mit hoffnungsloser Miene den Kopf. »Keine Chance. Die Kleine war schon tot. Entschuldigen Sie, Sir. Wir haben gerade ein Baby bekommen. Da fragt man sich doch ...«
»Ja, natürlich«, sagte Webberly. »Ist schon in Ordnung. Ich habe auch eine kleine Tochter.« Er brauchte nicht daran erinnert zu werden, welchen Gefahren das Leben eines Kindes ausgesetzt war und wie wachsam Eltern sein mussten, um es zu schützen. Seine kleine Miranda war gerade zwei Jahre alt geworden.
»Wo ist es passiert?«, fragte er.
»Oben. Im Bad. Aber wollen Sie nicht erst mit den Eltern sprechen? Sie sind im Wohnzimmer.«
Belehrungen eines unerfahrenen jungen Kollegen brauchte Webberly wahrhaftig nicht, aber der Junge war durcheinander, und es hätte wenig Sinn gehabt, ihn jetzt zurechtzuweisen. Darum begnügte er sich damit, Leach zu bitten, den Eltern zu sagen, dass er gleich kommen werde.
Dann wies er mit dem Kopf zur Treppe und sagte zu dem jungen Constable: »Gehen Sie voraus.« Er folgte dem Jungen eine Treppe hinauf, die sich um einen kunstvoll geschnitzten Pflanzenständer aus Eichenholz wand, auf dem ein üppiger Farn stand.
Das Kinderbadezimmer war neben dem Kinderzimmer, einer Toilette und dem Zimmer des anderen Kindes der Familie in der zweiten Etage des Hauses. Die Eltern und die Großeltern hatten ihre Zimmer im ersten Stockwerk, und im obersten Stock wohnten eine Kinderfrau, ein Untermieter und eine Frau, die - nun, der Constable meinte, man würde sie wohl als Erzieherin bezeichnen, obwohl die Familie sie nicht so nannte.
»Sie unterrichtet die Kinder«, sagte der Constable. »Na ja, wahrscheinlich nur den Jungen, der schon alt genug ist.«
Webberly zog kurz die Brauen hoch über die ungewöhnliche Tatsache einer privaten Erzieherin in diesen modernen Zeiten, dann ging er in das Badezimmer, wo das Unglück geschehen war. Leach, der wie befohlen den Eltern unten im Wohnzimmer Bescheid gesagt hatte, gesellte sich wenig später zu ihm, während der Constable an seinen Posten im Vestibül zurückkehrte.
Bedrückt sahen sich die beiden Beamten in dem Badezimmer um. Ein so alltäglicher, scheinbar harmloser Ort! Kaum vorstellbar, dass man in so einem Raum das Opfer eines tödlichen Unfalls werden konnte. Und doch kam es so häufig vor, dass Webberly sich manchmal fragte, wann die Leute endlich begreifen würden, dass man ein kleines Kind nicht eine Sekunde unbeaufsichtigt lassen durfte, wenn nur die kleinste Wasserpfütze in der Nähe war.
In der Wanne allerdings stand das Wasser höher als in einer Pfütze: mindestens fünfundzwanzig Zentimeter hoch. Es war mittlerweile abgekühlt, und auf der unbewegten Oberfläche schwammen ein Plastikboot und fünf gelbe Gummientchen. Auf dem Grund der Wanne, neben dem Abfluss, lag ein Stück Seife, und auf der Ablage aus rostfreiem Stahl, die sich quer über die Wanne spannte, lagen ein feuchter Waschlappen, ein Kamm und ein Schwamm. Auf den ersten Blick sah alles ganz normal aus. Bei näherem Hinsehen waren mancherlei Hinweise darauf zu erkennen, dass erst vor kurzem Panik und schreckliches Unglück in diesem Raum geherrscht hatten.
Ein Handtuchhalter war umgestoßen. Eine durchweichte Badematte lag zusammengeschoben unter dem Waschbecken. Ein umgestürzter Rattanpapierkorb war völlig zerdrückt. Und über die weißen Fliesen führten die Fußabdrücke der Sanitäter, die in ihrem Bestreben, das Leben eines Kindes zu retten, bestimmt nicht daran gedacht hatten, das Bad sauber zu halten.
Webberly konnte sich die Szene vorstellen, als wäre er dabei gewesen, weil er als junger Streifenbeamter mehr als einmal solche Szenen erlebt hatte: keine Panik bei den Sanitätern, vielmehr konzentrierte, beinahe unmenschlich wirkende Ruhe. Prüfung von Puls, Atmung und Augenreflexen, sofortige Einleitung von Wiederbelebungsmaßnahmen. Sie hatten vermutlich schon nach Augenblicken gewusst, dass die Kleine tot war, aber sie sagten es keinem, denn ihre Aufgabe war es, um jeden Preis Leben zu retten. Deshalb hätten sie nichts unversucht gelassen, sich mit allem Einsatz um das Kind bemüht, es aus dem Haus gebracht und auch auf der Fahrt ins Krankenhaus ihre Bemühungen fortgesetzt, weil ja immer die Chance bestand, dass dem schlaffen Bündel, das zurückblieb, wenn der Geist aus dem Körper gewichen war, doch
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