11 - Nie sollst Du vergessen
dem Zimmer, und schließlich waren nur noch die Eltern des toten Kindes übrig.
Selbst jetzt noch, hier im Park von Stamford Brook, wo Alfie kläffend Vögel und Eichhörnchen jagte, selbst jetzt noch konnte sich Webberly an Eugenie Davies erinnern, wie sie an diesem Abend ausgesehen hatte.
Sie trug eine graue Hose und eine blassblaue Bluse und war völlig reglos dagesessen. Sie hatte weder ihn noch ihren Mann angesehen, als sie wie zu sich selbst gesagt hatte: »O mein Gott, was soll jetzt aus uns werden?«
Ihr Mann ging nicht auf ihre Worte ein, sondern bemerkte, zu Webberly gewandt: »Wir waren im Krankenhaus. Man konnte nichts mehr für sie tun. Hier hatte man uns das nicht gesagt. Hier im Haus, meine ich. Da haben sie uns das nicht gleich gesagt.«
»Nein«, antwortete Webberly. »Das ist nicht ihre Aufgabe. Das überlassen sie den Ärzten.«
»Aber sie wussten es. Schon als sie noch hier im Haus waren. Sie wussten es, nicht wahr?«
»Ich vermute, ja. Es tut mir sehr Leid.«
Sie weinten beide nicht. Das würde später kommen; wenn sie begriffen, dass der Albtraum kein Albtraum war, sondern Realität, die den Rest ihres Lebens verändern würde. Im Moment waren sie betäubt von den seelischen Erschütterungen: der anfänglichen Panik, den verzweifelten Rettungsbemühungen, der Invasion fremder Menschen in ihrem Heim, dem qualvollen Warten in der Notaufnahme, dem Urteil der Ärzte.
»Sie sagten, sie würde erst später freigegeben werden. Die - ihr Leichnam«, sagte Richard Davies. »Wir durften sie nicht mitnehmen ... warum nicht?«
Eugenie senkte den Kopf und starrte, wie es schien, auf ihre gefalteten Hände.
Webberly zog sich einen Sessel heran und setzte sich, um mit der Frau auf gleicher Höhe zu sein. Mit einer Kopfbewegung bedeutete er Richard Davies, sich ebenfalls zu setzen. Der nahm neben seiner Frau Platz und ergriff ihre Hand. Webberly erklärte es ihnen, so gut er konnte: Bei einem unerwarteten Tod, wenn jemand starb, der sich nicht in Behandlung eines Arztes befand, der einen Totenschein ausstellen konnte, wenn jemand bei einem Unglücksfall ums Leben kam - zum Beispiel durch Ertrinken -, dann schrieb das Gesetz eine Obduktion des Verstorbenen vor.
Eugenie blickte auf. »Soll das heißen, dass man sie aufschneiden wird?«
Webberly wich der Frage aus, indem er sagte: »Das geschieht, um die genaue Todesursache festzustellen.«
»Aber die kennen wir doch«, wandte Richard Davies ein. »Sie war oben - sie wurde gebadet, sie war in der Wanne. Ich hörte jemanden rufen, dann die Frauen schreien, und als ich nach oben lief, kam James heruntergestürzt -«
»James?«
»Unser Untermieter. Er war oben in seinem Zimmer und kam die Treppe heruntergerannt.«
»Wo waren die übrigen Hausbewohner?«
Richard warf seiner Frau einen fragenden Blick zu, aber die schüttelte den Kopf. »Ich war mit meiner Schwiegermutter in der Küche. Wir wollten das Abendessen machen. Sonia wurde meistens um diese Zeit gebadet, und -« Sie brach ab, als drohte durch das Aussprechen des Namens das Undenkbare sie zu überwältigen.
»Und Sie wissen nicht, wo die anderen waren?«
»Mein Vater und ich waren im Wohnzimmer«, sagte Richard Davies. »Wir sahen uns - mein Gott, wir haben uns Fußball angesehen! Wir haben uns ein Fußballspiel angesehen, und oben ertrank unser Kind!«
In Eugenie schien etwas zu zerbrechen. Sie begann endlich zu weinen.
Richard Davies, der mit seinen eigenen Gefühlen des Schmerzes und der Hoffnungslosigkeit beschäftigt war, nahm seine Frau nicht in den Arm, wie Webberly das von ihm erwartet hätte. Er sagte nur ihren Namen und versicherte ihr völlig nutzlos, es sei ja gut, das Kind sei jetzt bei Gott, der es ebenso sehr liebte, wie sie es geliebt hatten. Gerade sie, Eugenie, mit ihrem unerschütterlichen Glauben an Gott und seine unendliche Güte, wisse das doch, nicht wahr?
Welch armseliger Trost, dachte Webberly und sagte: »Ich möchte mit jedem sprechen, der zur Zeit des Unfalls im Haus war.«
Zu Richard Davies gewandt, fügte er hinzu: »Vielleicht braucht Ihre Frau einen Arzt, Mr. Davies. Wollen Sie nicht einen anrufen?«
Noch während er sprach, wurde die Wohnzimmertür geöffnet, und Sergeant Leach trat ein. Er nickte zum Zeichen, dass er seine Liste fertig gestellt und das Badezimmer versiegelt hatte, woraufhin Webberly ihm mitteilte, dass sie die Hausbewohner hier im Wohnzimmer befragen würden.
»Danke für Ihre Hilfe, Inspector«, sagte Eugenie.
Danke für Ihre Hilfe.
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