11 - Nie sollst Du vergessen
du?«
»Ehrlich gesagt würde ich mich am liebsten in den nächsten zweiunddreißig Wochen überhaupt nicht mehr bewegen.«
»Soll ich Simon anrufen?«
»Nein, nein. Er arbeitet noch an dieser Acrylamid-Sache. Sie brauchen das Ergebnis in zwei Tagen.«
»Ach so. Aber braucht er dich?« Simon Allcourt-St. James war Chemiker, ein von Gerichten und Anwälten gesuchter Gutachter, der regelmäßig in den Zeugenstand gerufen wurde, um entweder die Beweisführung der Anklage oder der Verteidigung zu untermauern. In diesem besonderen Fall, einem Schadensersatzprozess, ging es darum, festzustellen, welche Menge von Acrylamid - das über die Haut aufgenommen worden war - eine toxische Dosis darstellte.
»Ich hoffe es«, antwortete sie. »Außerdem ...« Mit einem Lächeln sah sie ihn an. »Außerdem möchte ich ihm gern erzählen, was es bei uns Neues gibt. Ich hab's übrigens gestern Abend Barbara gesagt.«
»Oh.«
»Oh? Was soll das denn heißen, Tommy?«
Lynley stand vom Bett auf. Er ging zum Schrank, wo ihm die Spiegeltür zeigte, dass sein Krawattenknoten völlig verunglückt war. Er zog ihn wieder auf und begann noch einmal von vorn. »Du hast Barbara doch gesagt, dass sonst noch niemand davon weiß?«
Sie versuchte sich aufzusetzen, musste aber die unbedachte Bewegung sofort büßen und ließ sich gleich wieder zurücksinken.
»Ja, natürlich, das habe ich ihr gesagt. Aber jetzt, wo sie es weiß, können wir es, finde ich, auch den anderen -«
»Ich möchte lieber noch ein bisschen warten.« Der neue Krawattenknoten sah noch schlimmer aus als der vorherige. Lynley gab auf, schimpfte auf das Material und holte sich einen anderen Schlips. Er war sich bewusst, dass Helen ihn beobachtete. Natürlich erwartete sie eine Erklärung für seine Zurückhaltung. »Reiner Aberglaube, Darling«, sagte er. »Wenn wir es für uns behalten, schützen wir uns vor dem Neid der Götter. Ich weiß, das ist Quatsch. Aber so ist es. Ich würde es am liebsten erst an die große Glocke hängen, wenn - wenn wirklich nichts mehr passieren kann.«
»Wenn wirklich nichts mehr passieren kann?«, wiederholte sie nachdenklich. »Machst du dir denn Sorgen?«
»Ja. Ich mache mir Sorgen. Ich habe Angst. Ich bin nur noch ein Nervenbündel. Ich kann kaum an etwas anderes denken. Und ich bin häufig verwirrt. Das war's so ziemlich.«
Sie lächelte. »Ich liebe dich, Darling.«
Und dieses Lächeln verlangte ein weiteres Bekenntnis. Er schuldete es ihr. »Außerdem denke ich an Deborah«, sagte er. »Simon wird sicher ganz gut damit umgehen können, dass wir ein Kind bekommen, aber Deborah wird es sehr wehtun, das zu hören.«
Deborah war Simons Frau. Seit Jahren wünschte sie sich ein Kind, doch jede ihrer Schwangerschaften hatte in einer Fehlgeburt geendet. Natürlich würde sie vorgeben, sich mit den Freunden zu freuen. Und auf eine distanzierte Art würde sie sich wirklich mit ihnen freuen. Aber tief im Innern, wo ihre Hoffnungen ruhten, würde sie wieder den bitteren Schmerz enttäuschter Träume erleben, den sie schon so oft erlebt hatte.
»Tommy«, sagte Helen liebevoll drängend, »Deborah wird es früher oder später sowieso erfahren. Meinst du nicht, es wäre weit schlimmer für sie, wenn ich plötzlich in Umstandskleidern herumlaufe, ohne ihr ein Wort von der Schwangerschaft gesagt zu haben? Und meinst du nicht, dass dieser Mangel an Vertrauen - denn sie wird doch sofort wissen, warum wir nichts gesagt haben - ihr umso mehr wehtun wird?«
»So lange brauchen wir es ja gar nicht aufzuschieben«, erwiderte Lynley. »Nur noch ein Weilchen, Helen. Und eigentlich mehr, um das Glück nicht herauszufordern, weißt du, als um Deborah zu schonen. Kannst du mir den Gefallen nicht tun, Schatz?«
Helen musterte ihn aufmerksam, und obwohl er spürte, wie er unter ihrem Blick unruhig wurde, wandte er sich nicht ab, während er auf ihre Antwort wartete.
Sie sagte: »Freust du dich denn überhaupt auf das Kind, Tommy? Bist du glücklich?«
»Helen, ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.«
Aber noch während er sprach, fragte er sich, wieso er nicht wirklich so empfand, sondern vielmehr das bedrückende Gefühl hatte, einer lange überfälligen Pflicht nachgekommen zu sein.
4
Jill Foster quälte sich gerade zu den Kommandos der Schwangerschaftsgymnastin stöhnend durch die letzte Serie Beckenübungen, als Richard zurückkam. Er sah angegriffener aus, als sie erwartet hatte, und die Gefühle, die das bei ihr auslöste, gefielen ihr gar
Weitere Kostenlose Bücher