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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Vertragsverhandlungen mitgeteilt. »Sie können ihn über sein Geigenspiel befragen. Aber mein Sohn lehnt es ab, sein Privatleben oder seine Biografie mit Medienvertretern zu erörtern, das möchte ich von vornherein klarstellen.«
    Weil er kein Privatleben hat, dachte Jill jetzt. Und seine Biografie ließ sich in zwei Worte fassen: die Geige. Gideon war Musik, und Musik war Gideon. So war es immer gewesen und so würde es bleiben.
    Richard hingegen war Elektrizität. Es hatte ihr Spaß gemacht, intellektuelle Wortgefechte mit ihm auszutragen und ihren Willen gegen seinen zu stellen. Sie hatte das trotz des enormen Altersunterschieds zwischen ihnen aufregend und prickelnd gefunden. Mit einem Mann zu streiten, hatte etwas Hocherotisches. Aber nur wenige Männer in Jills Leben waren überhaupt zu streiten bereit. Schon gar nicht die englischen Männer, die sich beim ersten Anzeichen einer Auseinandersetzung im Allgemeinen in den passiven Widerstand zurückzogen.
    Aber Richard war an diesem Morgen nicht nach Streiten zumute. Themen gab es genug zwischen ihnen - der Name ihrer ungeborenen Tochter, die Lage des Hauses, das sie erst noch kaufen mussten, die Art des Festes und das Datum der geplanten Hochzeit -, aber Jill sah ihm an, dass er im Moment keinen Sinn für hitzige Diskussionen hatte.
    Sein blasses Gesicht verriet, dass er in den vergangenen Stunden Erschütterndes durchgemacht hatte, und wenn auch sein stures Festhalten an dem Namen Cara, den er vor fünf Monaten zum ersten Mal ins Gespräch gebracht hatte, Jill gründlich ärgerte, wollte sie ihm doch zeigen, dass sie an seinen Kümmernissen Anteil nahm. Zwar hätte sie am liebsten gesagt: Was stellst du dich so an, Richard? Die Frau hat dich vor beinahe zwanzig Jahren sang- und klanglos verlassen! Aber sie wusste natürlich, dass es klüger war, sanft zu fragen: »Wie fühlst du dich, Schatz? War es sehr schlimm?«
    Richard ging zum Sofa und ließ sich darauf niederfallen. »Ich konnte es ihnen nicht sagen«, murmelte er mit gesenktem Kopf.
    Sie runzelte die Stirn. »Was denn, Darling?«
    »Eugenie. Ich konnte ihnen nicht mit Gewissheit sagen, ob die Frau wirklich Eugenie war.«
    »Oh.« Mit schwacher Stimme. Dann: »Hatte sie sich denn so stark verändert? Na ja, ein Wunder wäre es nicht, Richard. Ihr hattet euch doch ewig nicht gesehen. Und vielleicht hatte sie in ihrem Leben sehr zu kämpfen ...«
    Er schüttelte den Kopf und rieb sich die Stirn. »Das war es nicht.«
    »Was dann?«
    »Sie war grauenvoll zugerichtet. Auf der Polizei wollten sie mir nicht genau sagen, was passiert war - wenn sie es überhaupt wussten. Aber sie sah aus, als wäre sie von einem Lastwagen überfahren worden. Völlig - verstümmelt, Jill.«
    »Mein Gott!« Jill richtete sich mit einiger Mühe auf und legte ihm tröstend eine Hand aufs Knie. Das war nun doch ein Grund, erschüttert zu sein. »Richard, das tut mir wirklich Leid. Das muss für dich ja eine Qual gewesen sein.«
    »Zuerst haben sie mir eine Polaroidaufnahme gezeigt. Ich fand das sehr rücksichtsvoll von ihnen. Als ich sie aber anhand des Fotos nicht identifizieren konnte, musste ich mir den Leichnam ansehen. Sie fragten, ob sie irgendwelche besonderen Merkmale besäße, an denen ich sie erkennen könne. Aber ich konnte mich nicht erinnern.« Seine Stimme war dumpf und klanglos. »Das Einzige, was ich ihnen sagen konnte, war der Name des Zahnarztes, zu dem sie vor zwanzig Jahren gegangen ist. Stell dir das vor, Jill! Ich hatte den Namen ihres Zahnarztes im Kopf, aber ich konnte mich nicht erinnern, ob sie irgendwo an ihrem Körper ein Muttermal hatte, an dem zu erkennen gewesen wäre, ob sie Eugenie ist - war -, meine Frau.«
    Geschiedene Frau, hätte Jill gern hinzugefügt. Die Frau, die nur an sich dachte und ein Kind zurückließ, das du allein großgezogen hast. Allein, Richard. Vergiss das nicht.
    »Aber an den Namen ihres gottverdammten Zahnarztes konnte ich mich erinnern«, sagte er. »Allerdings nur, weil er auch mein Zahnarzt ist.«
    »Und was geschieht jetzt?«
    »Sie wollen die Röntgenaufnahmen anfordern, um sich zu vergewissern, dass die Tote Eugenie ist.«
    »Und was glaubst du?«
    Er blickte auf. Er sah sehr müde aus. Mit ungewohnt schlechtem Gewissen dachte Jill daran, wie unbequem es für ihn sein musste, auf ihrem Sofa zu schlafen, und wie fürsorglich es von ihm war, jetzt, da der Tag der Entbindung näher rückte, nachts bei ihr zu bleiben. Sie hatte von ihm, der bereits zwei Kinder hatte -

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