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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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verstümmelten Leichnam ansehen zu müssen. Aber Richard hatte seit nahezu zwanzig Jahren nichts mehr von seiner früheren Frau gehört, weshalb also diese Verstörtheit? Trauerte er ihr vielleicht doch noch nach? War er vielleicht nicht ganz ehrlich gewesen, als er gesagt hatte, diese Ehe sei für ihn ein für allemal erledigt?
    Jill legte ihm liebevoll die Hand auf den Arm und sagte behutsam: »Ich verstehe natürlich, dass dir das alles sehr nahe geht. Aber du hast sie doch in all den Jahren nie wiedergesehen?«
    Ein Flackern in seinem Blick. Ihre Finger spannten sich unwillkürlich an. Nicht schon wieder, dachte sie. Wenn du mich jetzt belügst, wie Jonathon es getan hat, werde ich auf der Stelle Schluss machen, Richard! Ich werde mich nicht noch einmal einer Illusion hingeben.
    »Nein, gesehen habe ich sie nicht«, antwortete er. »Aber ich habe vor kurzem mit ihr gesprochen. Mehrmals im Lauf des letzten Monats.« Er schien zu spüren, wie sie sich verschloss, um sich vor Verletzung zu schützen, denn er fügte hastig hinzu: »Sie hatte mich Gideons wegen angerufen. Sie hatte von der Geschichte in der Wigmore Hall in der Zeitung gelesen. Und als sie hörte, er befände sich in ärztlicher Behandlung, rief sie mich an, um sich nach ihm zu erkundigen. Ich habe dir nichts davon gesagt, weil ... ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich dir nichts gesagt habe. Es erschien mir einfach nicht wichtig. Außerdem wollte ich dir in diesen letzten Wochen vor - vor der Geburt jede Aufregung ersparen. Ich wollte dich nicht damit belästigen.«
    »Also, das ist wirklich unerhört!«, sagte Jill empört.
    »Es tut mir Leid«, sagte Richard. »Wir haben jedes Mal nur fünf Minuten - höchstens zehn - miteinander gesprochen. Ich hielt es nicht für -«
    »Das meine ich ja gar nicht«, unterbrach Jill. »Ich finde es unerhört, dass sie dich angerufen hat, Richard. Das ist doch eine Dreistigkeit sondersgleichen. Sie verlässt dich - und ihren Sohn, Herrgott noch mal! - von einem Tag auf den anderen, kümmert sich jahrelang überhaupt nicht mehr um euch und ruft dann plötzlich an, nur weil sie irgendwo gelesen hat, dass ihr Sohn einen Auftritt vermasselt hat, und sie neugierig ist. Mein Gott, das ist wirklich eine Frechheit.«
    Richard sagte nichts. Er schwenkte den Kognak im Glas und beobachtete, wie die Flüssigkeit an den Wänden herablief. Jill kam zu dem Schluss, dass es noch etwas gab.
    »Richard?«, sagte sie scharf. »Was ist? Du verschweigst mir doch etwas, stimmt's?« Und bei dem Gedanken, dass der Mann, dem sie so viel Vertrauen entgegengebracht hatte, nicht so offen sein könnte, wie sie es erwartete, fiel wieder eine Tür in ihrem Inneren zu. Seltsam, dachte sie, wie stark das Erlebnis einer einzigen demütigenden und misslungenen Beziehung alle nachfolgenden Verbindungen zu anderen Menschen beeinflussen kann.
    »Richard! Sag schon! Da ist doch noch etwas.«
    »Gideon«, sagte Richard. »Ich habe ihm nicht erzählt, dass sie mich seinetwegen angerufen hatte. Ich wusste nicht, was ich ihm sagen sollte, Jill. Sie hatte ja mit keinem Wort etwas davon erwähnt, dass sie ihn sehen wollte. Wozu also hätte ich ihm von ihren Anrufen erzählen sollen? Aber jetzt ist sie tot, und das kann ich ihm nicht verschweigen, und ich habe wahnsinnige Angst, dass sein Zustand sich verschlechtern wird, wenn er von ihrem Tod hört.«
    »Ja, das kann ich verstehen. Das wäre durchaus möglich.«
    »Sie wollte wissen, ob es ihm gut geht, Jill. ›Warum spielt er nicht, Richard?‹, fragte sie mich. ›Wie viele Auftritte hat er wirklich abgesagt? Und warum? Warum?‹«
    »Was wollte sie denn?«
    »Sie hat mich allein in den letzten zwei Wochen bestimmt zehnmal angerufen«, sagte Richard. »Plötzlich drängte sie sich wieder in mein Leben, eine Stimme aus der Vergangenheit, von der ich glaubte, ich hätte sie endgültig hinter mir gelassen und -« Er brach ab.
    Jill spürte, wie die Kälte an ihr emporkroch, von den Fußsohlen aufwärts, und sie umklammerte. »Du glaubtest, du hättest sie hinter dir gelassen«, sagte sie leise und versuchte, das Undenkbare nicht zu denken. Aber die Gedanken stürmten trotzdem auf sie ein: Er liebt sie immer noch. Sie verließ ihn, sie verschwand aus seinem Leben, aber er liebt sie immer noch. Er hat mich geküsst. Er hat mit mir geschlafen. Aber geliebt hat er immer nur Eugenie.
    Kein Wunder, dass er nie wieder geheiratet hatte. Die einzige Frage war: Warum wollte er jetzt wieder heiraten?
    Dieser

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