11 - Nie sollst Du vergessen
sagte ich. »Danke, Libby.« Ich ergriff ihre Hand, küsste ihre Finger und legte sie wieder auf meine Wange.
»Gideon?«
»Hm?«
»Ach, lass gut sein.« Aber als ich eben das tat, fügte sie mit einem Seufzen hinzu: »Denkst du manchmal über - über uns nach? Ich meine, wie's mit uns weitergeht und so?«
Ich antwortete nicht. Immer läuft es mit den Frauen darauf hinaus. Auf das »wir« und das Streben nach einer Bestätigung: Nachdenken über uns heißt ja, dass es ein wir gibt.
Sie sagte: »Hast du dir mal überlegt, wie oft wir zusammen sind?«
»Sehr oft.«
»Mann, wir haben sogar zusammen geschlafen, könnte man sagen.«
Frauen, auch das ist mir aufgefallen, haben einen untrüglichen Blick für das Offensichtliche.
»Was meinst du, sollen wir weitergehen? Glaubst du, wir sind für die nächste Stufe reif? Also, ich muss sagen, ich fühl mich total reif dafür. Echt reif für den nächsten Schritt. Und du?« Während sie sprach, drückte sie ihren Oberschenkel an den meinen, legte einen Arm über meine Brust und knickte ganz leicht - wirklich kaum merklich - ihr Becken, um ihre Scham an mich zu pressen.
Plötzlich bin ich wieder bei Beth, zurück an jenem Punkt in einer Beziehung, wo es zwischen dem Mann und der Frau eigentlich eine Weiterentwicklung geben sollte, und nichts geschieht. Jedenfalls nicht bei mir. In der Beziehung mit Beth wäre die nächste Stufe die Bindung auf Dauer gewesen. Wir waren schließlich seit elf Monaten ein Liebespaar.
Sie hält die Verbindung zwischen dem East Londoner Conservatory und den Schulen, aus denen die Schüler des Konservatoriums kommen. Sie als Cellistin und frühere Musiklehrerin ist für das Konservatorium die ideale Mittlerin; sie spricht die Sprache der Instrumente, die Sprache der Musik und, das Wichtigste, die Sprache der Kinder.
Anfangs bemerke ich sie gar nicht. Sie fällt mir erst eines Tages auf, als wir uns um ein Kind kümmern müssen, das von zu Hause weggelaufen ist und im Konservatorium Zuflucht sucht. Wir erfahren, dass der Freund der Mutter das kleine Mädchen ständig am Üben hindert, weil er anderes mit ihr im Sinn hat. Sie wird in dem verwahrlosten Zuhause wie eine Sklavin behandelt und von dem gewissenlosen Paar sexuell missbraucht.
Beth wird zur Nemesis. Sie ist außer sich vor Zorn und Entsetzen. Sie wartet weder auf Polizei noch Sozialdienst, denn sie traut beiden nicht. Sie erledigt die Angelegenheit persönlich: Mithilfe eines Privatdetektivs und mittels eines Gesprächs mit dem sauberen Paar, in dessen Verlauf sie keine Zweifel daran lässt, was die beiden zu erwarten haben, sollte dem Kind auch nur der geringste Schaden geschehen. Und um ganz sicherzugehen, dass die beiden verstehen, was gemeint ist, definiert sie ihnen den Begriff »Schaden« im plastischen Straßenjargon, den sie gewöhnt sind.
Ich erlebe das alles nicht mit, aber ich höre von mehreren Lehrern davon. Und die wütende Unbedingtheit, mit der sie für dieses Kind eintritt, berührt etwas tief in meinem Inneren. Eine Sehnsucht vielleicht oder eine Erinnerung.
Wie dem auch sei, ich suche ihre Gesellschaft. Und wir finden einander auf die natürlichste Weise, die ich mir vorstellen kann. Ein Jahr lang ist alles gut.
Dann aber beginnt sie, von der Zukunft zu sprechen. Das ist logisch, ich weiß. Es ist nur vernünftig, dass ein Mann und eine Frau über den nächsten Schritt nachdenken, vor allem die Frau, die auf ihre biologische Uhr achten muss.
Ich weiß, ich müsste eigentlich das wollen, was die natürliche Folge unserer beiderseitigen Liebesbeteuerungen wäre. Ich weiß, dass nichts immer gleich bleibt und es Illusion wäre, zu erwarten, sie und ich würden auf ewig damit glücklich sein, die Musik und eine leidenschaftliche Affäre zu teilen. Und trotzdem - als sie vorsichtig von Heirat und Kindern spricht, spüre ich, wie ich innerlich erkalte. Anfangs wechsle ich einfach das Thema. Als ich es mir schließlich mit Ausflüchten wie Proben, Übungsstunden, Plattenaufnahmen und Ahnlichem nicht mehr vom Leib halten kann, stelle ich fest, dass die Kälte in meinem Inneren zugenommen und nicht nur alle Gedanken an eine Zukunft mit Beth erfroren, sondern auch die Gegenwart mit ihr mit Reif überzogen hat. Ich kann nicht mehr wie früher mit ihr zusammen sein. Leidenschaft und Begehren sind erloschen. Anfangs versuche ich, den Schein zu wahren, aber es ist vorbei. Was auch immer es war: Begehren, Leidenschaft, Anhänglichkeit, Liebe - es ist nichts mehr da.
Wir
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