1103 - Das Azteken-Ritual
verdammt.«
»Davon hat er auch nichts gesagt.«
»He, Bruder, willst du dich nicht zeigen? Komm wieder an das Loch. Du wolltest mich doch sehen. Ich werde dir den Gefallen tun und dich überraschen.«
»Was soll das wieder heißen?«
Suko legte einen Finger auf die Lippen und drehte sich um. Pembroke ging ihm auf die Nerven, aber er konnte sich auch nicht über die Vorschriften hinwegsetzen.
Suko schaute wieder in die Zelle.
Gomez hatte seine Lage nicht verändert. Noch immer lag er auf dem Rücken, den Kopf leicht erhoben. Er schaute nach vorn. Nur sein Gesicht zeigte einen anderen Ausdruck. Er hatte die Lippen in die Breite gezogen, und das Grinsen gefiel Suko überhaupt nicht.
»Da bist du ja wieder, Bruder.«
»Ja.«
Suko hatte laut gesprochen, um auch verstanden zu werden. Der Mann auf dem Bett deutete ein Nicken an. Die Augen hielt er jetzt weit offen. Suko sah in schwarze Löcher hinein, so zumindest kamen sie ihm vor. Der Blick war dunkel. Er schien nach innen gekehrt zu sein. Pupillen sah Suko kaum.
»Weißt du, wer ich bin, Bruder?«
»Ja, ein Mörder!«
»Ach - hör damit auf. Denk mal anders. Ich bin kein Mörder. Ich bin ein Auserwählter.«
»Wo ist da der Unterschied?«
»Du wirst es merken, Bruder. Bald schon wirst du es feststellen. Die Zeit ist reif.«
»Für dich?«
»Auch.«
»Für wen noch?«
»Für meine Dankbarkeit. Ich frage dich noch einmal, Bruder. Weißt du, wer ich bin?«
»Ich kann dir immer die gleiche Antwort geben.«
»Nein, nicht doch.« Gomez regte sich auf. Er schwang sich hoch, blieb aber nicht sitzen, sondern ließ sich wieder fallen. »Von dir habe ich mehr erwartet. Du bist doch zu mir gekommen, um ein Geheimnis zu ergründen, das tief in mir verborgen liegt. Das alles ist mir bekannt, und ich frage dich noch einmal. Weißt du denn genau, wer ich bin?«
»Die Antwort kennst du.«
»Ach, nicht doch, mein Freund. Du mußt anders denken. Du mußt dir vorstellen, aus welch einem Land ich stamme. Weißt du das? Oder hat man dir das auch nicht gesagt?«
»Mexiko.«
»Richtig.« Gomez hatte das Wort fast jubelnd ausgesprochen. »Ich komme aus Mexiko. Aus dem Süden des Landes, wo es einmal die Hochkulturen gegeben hat. Kannst du mir so weit folgen?«
»Ich denke an die Mayas…«
»Nicht nur an sie«, unterbrach Gomez. »Das gab es auch die Azteken. Ich gehöre zu diesem Volk. Ich bin einer der wenigen Nachkommen, und ich bin stolz darauf, daß ich nichts vergessen habe. In mir schlummert noch das alte Erbe. Ich bin kein gewöhnlicher Mensch, denn ich weiß einfach zuviel. Ich habe auf dem alten Erbe aufbauen können, und ich habe mich verpflichtet, den Weg der Götter zu gehen. Nichts kann mich davon abhalten.«
»Der Weg paßt nicht mehr in unsere Zeit«, sagte Suko.
»Ein Irrtum. Vieles hat überlebt. Man muß es nur finden. Man muß das Auge und auch das Gefühl dafür haben. Es gibt auch heute noch unsere alte Kultur in den abgelegenen Gegenden. Auch gewisse Machtverhältnisse sind geblieben. Der König und die Oberpriester teilen sich die Macht auf, und beide waren immer miteinander verwandt. Es gab die Kasten, den Adel, das gemeine Volk, und wir haben diese Aufteilung immer wunderbar miteinander verbunden. Und es gab die Götter«, flüsterte er, wobei sich sein Gesichtsausdruck veränderte und die Augen plötzlich zu strahlen begannen. »Sie waren für die meisten von uns am wichtigsten. Wir übernahmen sie von noch älteren und uns umgebenden Kulturen, so daß wir ein großes Pantheon entstehen lassen konnten. Mein Gott war Quetzalcoatl. Ich diente ihm, ich war derjenige, den er als Oberpriester akzeptierte, und ich sorgte dafür, daß er die Opfer erhielt, damit er gnädig gestimmt wurde.«
»Menschenopfer, nicht?«
»Ja.«
»Die Herzen?«
»Auch. Sie wurden den Menschen bei lebendigem Leib herausgerissen, um sie den Göttern zu opfern. Wie zum Beispiel dem Fruchtbarkeitsgott Xipe Totec. Ihm zu Ehren wurden die Menschen nach dem Herausschneiden der Herzen noch gehäutet, um Totec gnädig zu stimmen. Ich war sein Diener, und sein Geist war in mir.«
»So weit habe ich alles verstanden«, sagte Suko. »Aber die Zeit der Azteken ist vorbei. Es gibt dein Volk nicht mehr. Es hat sich mit anderen Völkern vermischt und…«
»Nicht alle, Bruder. Schau mich an.«
»Du lebst in einer anderen Welt und in einer anderen Zeit. Komm mir nicht mit den alten Riten.«
Gomez ließ sich nicht provozieren. »Warum stellst du dich so quer? Warum willst du
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