1103 - Das Azteken-Ritual
ihre Freunde ansehen. Sie waren jetzt zu Feinden geworden, die möglicherweise ihren Tod wollten.
Wehrlos würde sie sich nicht ergeben, das stand für sie fest. Und wieder dachte sie an die Waffen, die in der ersten Etage in einem extra dafür angefertigten Schrank aufbewahrt wurden.. Sie brauchte nur die Treppe hoch und in den Flur zu gehen, dann kam sie an die Gewehre heran.
Bevor sie ging, schaute sie noch einmal zurück. An den Fenstern huschten die Vögel vorbei. Sie hörte einen Schlag, der die Haustür traf. Es war ein hackendes Geräusch gewesen. Da hatte der Schnabel eines Vogels versucht, sich einen Weg zu bahnen.
Irgendwann würden sie es auch schaffen. Aber nicht durch die Tür, sondern durch das Fenster.
Becky riß sich zusammen. Sie war allein, und sie würde den Horror auch weiterhin allein durchstehen müssen. Das Schicksal hatte die Weichen gegen sie gestellt. Wenn Derek hier gewesen wäre, hätte sie noch Hoffnung gehabt. Er wußte immer einen Ausweg, doch London war so verflucht weit.
Als Becky die Treppe hochstieg, mußte sie sich am Handlauf festhalten. Sie verfluchte ihre Schwäche, doch sie konnte nichts dagegen tun. Mehr stolpernd schaffte sie Stufe für Stufe, schaute sich auch um und wartete darauf, jeden Augenblick das Klirren und Platzen einer Fensterscheibe zu hören.
Es blieb aus.
Viel besser ging es ihr trotzdem nicht. Auch in der ersten Etage, wo sich das Schlafzimmer, zwei Gästeräume sowie zwei Bäder verteilten, gab es Fenster. Allerdings nicht im Gang, der diese Etage in zwei Hälften teilte. Rechts und links malten sich die Türen ab, die bis auf eine geschlossen waren.
Hinter der offenen Tür lag das Schlafzimmer, und dort befanden sich auch zwei Fenster.
Becky wollte zunächst nicht daran denken. Vor einer Truhe blieb sie stehen und hob den Deckel an.
In diesem Kasten lag allerlei Kram. Unter anderem auch eine Holzschachtel, nach der Becky griff.
Darin lag der Schlüssel zum Gewehrschrank. Er hatte ein normales Schloß. Der Schrank selbst stammte aus dem achtzehnten Jahrhundert und aus einer bäuerlichen Region. Das Holz der breiten Tür zeigte die entsprechenden Malereien. Im Schrank standen nicht nur die beiden Gewehre, auch Munition wurde dort aufbewahrt.
Zu laden brauchte Becky die Waffen nicht. Sie konnte zwischen einem Jagdgewehr und einer Schrotflinte wählen.
Sie entschied sich für die Flinte, da sie mehr auf deren Treffsicherheit vertraute.
Schweiß stand auf ihrer Stirn. Sie hatte gedacht, sich mit der Waffe in der Hand sicherer zu fühlen, doch das war ein Irrtum. Sie fühlte sich nicht sicher.
Die Vögel flogen noch immer.
Sie waren zu hören. Die dicken Wände hielten die Geräusche nicht ab. Manchmal kratzten sie am Holz. Hin und wieder schlugen sie mit dem Schnäbeln gegen den Widerstand, doch das kümmerte die Frau nicht. Sie wollte mit der Waffe zurechtkommen und zunächst einmal ihre Funktion überprüfen.
Plötzlich hörte sie das Geräusch.
Sie konnte es nicht einordnen. Es war da, aber sie fand sich damit nicht zurecht.
Es war auch nicht von unten auf geklungen, sondern in ihrer unmittelbaren Nähe.
Sie drehte sich um.
Im Schlafzimmer?
Aus ihm klang ihr das leise Lachen entgegen. Für sie war es ein kaltes und auch widerliches Geräusch, das ihr sofort einen Schauer über den Rücken jagte.
Und dann hörte sie die Stimme.
»Komm her… komm zu mir…«
Becky begann zu zittern. Sie schwitzte noch stärker.
»Komm…«
Es war ein Flüstern und Raunen, das aus dem Schlafzimmer in den Flur drang.
Sie wollte nicht, aber sie konnte diesem Gefühl einfach nicht folgen. Die Stimme hatte auf sie eine hypnotische Wirkung. Ohne recht von ihrem eigenen Gefühl gelenkt zu werden, setzte sie den ersten Schritt. Sie kam sich vor wie jemand, der an einer langen Leine hängt und nach vorn gezogen wird.
Die Tür rückte näher. Sie stand nicht so weit auf, als daß die Frau hätte durch die Lücke gehen können. Sie mußte sie noch mit dem rechten Fuß weiter nach innen drücken.
Die schwere Tür schwang langsam auf.
Becky blieb auf der Schwelle stehen und starrte in das Zimmer. Sie sah das Bett, sie sah den Schrank, und auch der Spiegel fiel ihr auf.
Nur den Sprecher sah sie nicht…
***
Hätte es auf dem Weg zum Ziel ein Tempolimit gegeben, ich hätte es sicherlich überschritten. So aber fuhr ich so schnell wie es der schmale Weg zuließ. Manchmal gerieten die Reifen auch über die Randstreifen hinweg, dann wühlten sie sich durch den
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