1114 - Der Pestmönch
Es war unmöglich, in ihm noch einen normalen Menschen zu sehen. Bei ihm hatte sich die Psyche umgestülpt. Er war zu einem Beispiel dafür geworden, was die Angst alles aus einem Menschen machen kann.
Dann hörte er Glendas Stimme. »Verflucht noch mal, bleib endlich stehen, Mann!«
Er hörte nicht!
Aber er drehte den Kopf.
Dann sah er die Waffe. Ich hoffte, daß er Vernunft annahm. Er war leider von mir noch zu weit entfernt, um einen Angriff starten zu können.
Der Koch drehte sich wieder. Glenda war für ihn uninteressant geworden. Er konzentrierte sich wieder auf mich. Daß er trotz allem noch klar denken konnte und auch wußte, was er tat, erfuhr ich durch seine nächsten Worte.
»Schließ die Tür auf!«
»Nein!«
»Ich steche dich ab!«
»Ich werde nicht aufschließen!«
In seinem Gesicht zeigte sich ein Ausdruck wie bei einem Menschen, der dicht vor dem Weinen steht. In ihm tobte ein Kampf, und ich hoffte, daß die richtige Seite gewinnen würde.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Du willst sie nicht aufschließen?« sprach er mich heulend an.
»Sie bleibt geschlossen. Es ist sicherer.«
»Dann steche ich dich ab!«
Der Satz fegte mir als Brüllen entgegen, und einen Moment später warf er sich auf mich zu…
***
Der Tunnel war auch weiterhin von diesen Strömen erfüllt, denen die drei nichts entgegenzusetzen hatten. Sie wurden zu Spielbälle degradiert, aber diesmal war es kein Sog, der an ihnen zerrte. Sie erlebten jetzt eine gewaltige Schubkraft, die sie nach vorn stieß. Es gab auch nichts, woran sie sich hätten festhalten können. Um sie herum brauste und tobte es. Obwohl Suko die Augen weit offen hielt, sah er nichts. Aber die Kraft hatte es nicht geschafft, den Kontakt zwischen ihm und dem Mönch zu lösen. Nach wie vor hielt er die Pestgestalt fest, und so zerrte er sie aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart. Dieser Pestmönch war für Suko ein Trumpf, den er keinesfalls verlieren wollte.
Auf eine Zeit konnte er sich hier nicht verlassen. Alles war verwischt. Menschen wurden zu Spielbällen fremder, von ihnen nicht kontrollierbarer Mächte, und irgendwann war es dann vorbei.
Suko spürte den Ruck.
Zugleich verschwand die Dunkelheit. Das helle Licht drang zuerst wie ein Schimmer von vorn auf ihn zu. Darin malte sich die Gestalt der Britta ab, die plötzlich nach vorn kippte, so daß Suko ihren Schrei noch hörte, bevor sie verschwunden war.
Er fegte als nächster aus dem Zeitloch. Das heißt, er wurde kurz vor der Grenze gestoppt. Er schaute nach vorn. Den Kopf hatte er gesenkt, und er sah das Waschbecken dicht unter sich. Dahinter malte sich die andere Umgebung ab. Der Waschraum war noch erhellt, und durch ihn taumelte mit unsicheren Bewegungen Britta. Die kannte die Umgebung. So wie sie sich allerdings bewegte, sah es aus, als könnte sie noch nicht glauben, es geschafft zu haben.
Suko drückte sich aus dem Loch. Er paßte gerade hindurch und zog auch den Pestmönch mit sich.
Er fand einen festen Halt auf dem Rand des Waschbeckens, sprang zu Boden und ließ den Mönch erst los, als der neben ihm zusammensackte.
Mittlerweile hatte auch Britta begriffen, was geschehen war. Sie lief einen weit gezogenen Kreis.
Dabei schaute sie sich um. Hob die Arme, ließ sie wieder fallen, schüttelte den Kopf, lachte und weinte zugleich, bis sie es endlich schaffte, einen Kommentar abzugeben. »Wir… wir haben es geschafft. Wir haben es tatsächlich geschafft! Wir sind erlöst. Wir sind weg aus dieser Welt, wir…«
Sie rannte auf eine Wand zu und trommelte mit den Fäusten dagegen.
Suko ließ sie in Ruhe. Für ihn war es wichtig, sich um den Mönch zu kümmern. Er hockte in sich zusammengesunken am Boden. Als Suko ihn in die Höhe zog, wehrte er sich nicht. Nur seine Augen glotzten den Inspektor verständnislos an.
»Du weißt, was passiert ist?«
»Ich will zurück!«
»Nein, das wird nicht gehen. Nicht jetzt. Vielleicht später, wenn alles vorbei ist. Ich will, daß du mit Lorenzo zusammentriffst. Er soll merken, was hier angelaufen ist.«
Britta war schon bis zum Beginn der Treppe gelaufen. Sie schaute in die Höhe, ohne etwas sehen zu können, aber sie hatte die Geräusche von oben gehört.
»Sie sind noch da«, meldete sie und drehte sich dabei um, weil sie Suko anschauen wollte. »Ja, sie sind noch da. Sie warten. Sie reden. Sie schreien auch.«
»Okay.«
»Müssen wir hoch?«
Suko lächelte. Welch eine Frage. »Sicher gehen wir hoch. Aber du bleibst hinter
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