1117 - Herr über Leben und Tod
erfahren würde.
Ihre Neugierde hielt sich in Grenzen. Nein, sie wurde mehr in Grenzen gehalten. Normalerweise hätte sie sich umgedreht und wäre aufgeputscht gewesen. Das kam ihr jetzt nicht einmal in den Sinn. Sie blieb einfach sitzen und wartete ab, was auf sie zukommen würde. Es war diese Egal-Stimmung, gegen die sich Jane nicht wehren konnte.
Dicht hinter ihr stoppten die Schritte. Sie sah Veritas noch nicht.
Sie hörte ihn nur. Er atmete leise, bevor er ebenso leise lachte und sie begrüßte.
»Jetzt bist du bei mir, Jane. Du befindest dich in meiner Welt. In meinem Reich. Du bist so schrecklich neugierig gewesen, und ich habe deine Neugierde befriedigen können. Ist das nicht wunderbar für dich? Du kannst all das sehen, was du dir erträumt hast, und ich werde dir auch noch andere Wege zeigen. Ich werde dir Tore öffnen und dich hineinlassen in wunderbare Welten. Das verspricht dir der Herr über Leben und Tod, Jane.«
Sie hatte zugehört. Sie war alarmiert, zugleich erlebte sie das nur als eine Farbe, weil sie nichts dagegen unternahm. Sie gab sich ihm einfach hin. Sie verspürte nicht einmal den Drang, sich zu erheben.
Sie blieb nur sitzen und ahnte, bedingt durch einen weichen Luftzug, dass sich der Mann hinter ihr bewegte.
Kurze Zeit später lagen die beiden Hände des Mannes auf ihren Schultern. Nicht unbedingt hart, der Druck war völlig normal. Nur hütete sich Jane davor, eine Bewegung zu machen, die Vernon Taske hätte stören können. Selbst dieser leichte Druck brachte ihm den nötigen Respekt ein.
Sie nahm die Hände nicht einmal als feindlich hin. Jane wünscht sich sogar, dass die Finger sie massierten, doch das ließ der Mann bleiben.
Seine Stimme war leise, trotzdem gut zu hören, als er sagte: »Es ist immer etwas Besonderes, wenn ich Menschen wie dich zu mir führen kann. Menschen, die versucht haben, mich reinzulegen und einsehen mussten, dass sie es nicht schafften. Selbst eine Jane Collins nicht, obwohl sie doch auf der Seite des großen Geisterjägers steht, der mich jagen will.«
»Nein, er will mit dir reden. Er will dich nicht jagen. Er möchte nur wissen, wie du dazu gekommen bist, die Menschen so zu manipulieren. Es gehört zu seinen Aufgaben.«
»Er ist arrogant.«
»Warum?«
»Er hat mich unterschätzt. Er hat dich geschickt. Mich kennt er ja. Er traute sich nicht, weil ich ihn zudem gewarnt habe. Es muss ihm Angst eingejagt haben.«
»Das weiß ich nicht«, sagte Jane leise.
»Was reden wir über ihn? Du bist wichtig. Und du bist mein Trumpf, Jane Collins.«
Das wusste sie. Er hätte es nicht erst zu wiederholen brauchen, doch es machte ihm Spaß, Jane zu erklären, wie wenig sie doch gegen ihn tun konnte.
Er stand hinter ihr, ohne sich zu rühren. Die Hände lagen wie festgebacken auf Janes Schultern, und sie fragte mit leiser Stimme. »Wo befinden wir uns hier?«
»Vergiss nicht, dass ich Herr über Leben und Tod bin.«
»Ich glaube es nicht. Das ist niemand. Erst recht kein Mensch. Es gibt einen Herrn über Leben und Tod, doch damit hast du in deiner Existenz nichts zu tun.«
»Keine Sorge, ich weiß schon, was ich wert bin«, flüsterte er.
»Denk an meine Gaben. Ich habe sie eingesetzt, um den Menschen zu helfen, aber sie wollten mehr, viel mehr. Es gefiel ihnen nicht, dass ich so gut Bescheid wusste, sie mussten einfach herausfinden, was hinter mir steckt. Ihr Pech, denn es muss mein Geheimnis bleiben, und es wird auch mein Geheimnis bleiben, das verspreche ich dir.«
Jane spürte den Strom. Er war auf einmal da, und er war so stark, dass sie davon überrascht wurde und zunächst kein Wort hervorbrachte. Es musste an den Händen des Mannes liegen, die noch auf ihren Schultern lagen. Von den Fingern strömte das Andere in ihren Körper hinein. Es rieselte nieder, und sie wurde an die vom düsteren Himmel herabhängenden Fäden erinnert. In ihrem Körper schienen sie sich durch seine Kraft zu wiederholen.
»Und nun bin ich dabei, dich zu übernehmen«, sprach er leise. Seine Stimme klang so sicher. Widerspruch kannte er nicht. Er war der Herr über alle. Er manipulierte, denn der Strom fand seinen Weg durch Janes Gestalt. Herr sein! dachte sie. Er will mich auf seine Seite ziehen. Er wird mich auf seine Seite ziehen. Etwas stimmt da nicht. Aber ich will es nicht. Ich kann mich ihm nicht hingeben.
Wenn er einmal Macht über mich hat, dann ist es aus, dann…
Ihre Gedanken brachen ab. Jetzt versuchte sie, den eigenen Willen zumobilisieren. Wenn es ihr
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