1117 - Herr über Leben und Tod
es wollte oder nicht, sie musste dort hineinschauen, aber sie sah kaum etwas von ihm, denn die dunklen Augen schlugen sie in den Bann. Sie waren wie Motoren, von denen diese Veränderung ausging. Ebenfalls war die Stirn des Mannes davon erfasst worden. Auf ihr und zwischen den weißgrauen Haaren leuchtete ein rötliches Fünfeck, zu vergleichen mit einem in die Stirn eingemeißelten Kristall.
Jane lief weiter. Kam sie voran, kam sie nicht voran?
Noch immer konnte sie es nicht genau deuten. Vernon Taske stand einfach nur da und wartete. Die Lippen hatte er verzerrt, seine Augen leuchteten trotz der Dunkelheit. Die Proportionen des schattenhaften Raumes kamen Jane verschoben vor. Die Wände waren dichter geworden und näher zusammengerückt. Die Decke schwebte nicht mehr so hoch über ihrem Kopf. Das Zimmer hatte sich zu einer Falle entwickelt.
Die Detektivin hörte sich selbst keuchen. Sie kämpfte gegen die unsichtbare Gummiwand an. Schrie sie? Jammerte sie? Strengte sie sich an?
Der Mann vor ihr blieb, aber er blähte sich auf. Er verwandelte sich in einen Riesen, und sein Gesicht veränderte sich so wie beim Aufpumpen eines Ballons. Es drückte sich in die Breite und verwandelte sich in eine verzerrte Fratze.
Und noch etwas fiel ihr auf. Veritas hatte beide Hände erhoben.
Von zwei verschiedenen Seiten berührten die Fingerkuppen das Amulett, das zwischen ihnen zu einem strahlenden Stern geworden war. Es konnte auch eine magische Zone sein, die sich in die Umgebung hinein gestohlen und sie verändert hatte.
Jane spürte den Zug. Urplötzlich zerrte etwas von vom gegen sie.
Auf einmal konnte sie wieder laufen. Ihre Beine bewegten sich normal. Sie schien über den Boden hinweg zufliegen. Sie war ohne ihr Zutun in das andere Extrem hineingeraten.
Und sie war bei ihm. Er wuchs vor ihr hoch. Er lächelte sie an. Sein nackter Körper war nicht zu dick, auch nicht zu schwammig. Er besaß breite Schultern und Muskeln wie im Fitnesscenter antrainiert.
Jane wusste noch immer, was sie zu tun hatte. Nicht töten, nur niederschlagen. Die Fernbedienung einsetzen, um endlich die Tür zu öffnen, ohne gestört zu werden.
Er war so nah bei ihr. Er lächelte noch.
Jane hob die Hand. Alles ging sehr schnell. Sie flog förmlich in die Höhe, als sie zum Schlag ausholte. Den Kopf konnte sie eigentlich nicht verfehlen. Er war so nahe bei ihr. Ihre Hand raste nach unten.
Es war wie eine Explosion. Das Gesicht des Mannes flog auseinander. Zugleich leuchtete das Amulett auf, und der goldene Schein verwandelte sich in eine Kralle, die Jane nicht mehr loslassen wollte.
Etwas toste durch ihren Kopf. Es war wie ein hartes Schrillen. Als glitte Metall über Metall hinweg.
Taske tat nichts. Er stand einfach nur da. Er fiel auch nicht um, und Jane wusste nicht einmal, ob sie ihn überhaupt berührt hatte. Er hielt alles unter Kontrolle. War Mensch und Riese zugleich.
Als Jane ihn sprechen hörte, da wusste sie, dass die Waffe nicht getroffen hatte. Sonst hätte er diese Worte nicht so sagen können.
»Ich bin der Herr über Leben und Tod…«
Jane Collins nahm es hin. Eine Antwort konnte sie ihm nicht geben, denn die Welt um sie herum versank in einem schwarzen Schlamm…
***
Sie kam zu sich. Sie tauchte auf. Um sie herum wehten farbige Sterne, die Jane sah, ohne die Augen zu öffnen. Sie vernahm die feine Musik, und sie spürte zugleich wie etwas über ihren Körper hinweg glitt, das keine Hände waren.
Etwas Kaltes stieg an ihr hoch. Sie erlebte klebrige Finger, die alles abtasten wollten. Ihr Kopf war mit Gedanken und Erinnerungen gefüllt, doch sie brachte es nicht fertig, alles zu ordnen und die Dinge in eine Richtung zu lenken.
Etwas klopfte hart in ihrer Brust. Schon brutale Schläge, die sich inihrem Körper ausbreiteten und die entsprechenden Echos hinterließen. Wie Hämmer, die auf nichts Rücksicht nahmen, und Jane merkte erst nach einer Weile, dass es ihr eigenes Herz war, das sich auf diese Art und Weise meldete.
Die Schläge erreichten auch ihre Kehle und sorgten für eine gewisse Atemnot.
Ich muss die Augen öffnen! hämmerte sie sich ein. Ich muss es einfach tun. Ich kann nicht so bleiben. Ich darf mich nicht gehen lassen.
Ich muss die Regeln einhalten.
Was das bedeutete, wusste Jane genau. Abwarten und sich auf sich selbst konzentrieren. Auf die innere Stimme lauschen und zugleich testen, was mit ihrem Körper geschehen war. Ob noch alles in Ordnung war und sie keine Verletzungen davongetragen
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