1123 - Der Terror beginnt
schreien, die sich in allerhöchster Not befanden. Es war die schlimmste Folter meines Traums. Die Schreie waren einfach nicht zu begreifen, sie wollten auch nicht aufhören, und wenn sie dann doch nicht mehr zu hören waren und die Gestalt zurückkehrte, dann war die Schneide der Säge feucht vom Blut der Toten.
Der absolute Höhepunkt des Traums folgte stets wie einprogrammiert. Der Mann mit der Kettensäge kehrte zurück. Er brauchte dabei keine Tür zu öffnen, denn den Zugang hatte er zuvor mit wuchtigen Tritten eingetreten.
Er trat hinaus auf den Steg, und er wandte mir, dem Schläfer und Träumer, diesmal das Gesicht zu.
Noch hatte sich der Nebel gehalten. Es war schwer für mich, das Gesicht zu erkennen, da es zunächst nichts anderes als ein weißer und blasser Fleck war, ohne jegliche Kontur.
Es änderte sich, wenn der Mann mit der Kettensäge weiterging und wieder über den Steg schritt.
Da schälte sich dann das Gesicht hervor, als wäre der Strahl eines Scheinwerfers darauf gerichtet.
Ich sah es. Ich nahm sogar Einzelheiten genau wahr.
Und der Schock traf mich jedesmal wie der Schlag einer Keule. Das Gesicht des Mannes gehörte meinem toten Vater…
***
Mir war übel geworden. Wie auch in den letzten Nächten. Immer dann, wenn ich das Gesicht erkannt hatte, bekam ich Schwierigkeiten mit dem Magen. Ich atmete tief durch, weil ich mich nicht übergeben wollte. Obwohl ich saß, hatte ich mit einem Schwindel zu kämpfen. Die Ereignisse wirkten zu stark nach, und sie hatten sich auch in der Erinnerung kaum abgeschwächt.
Aus meinen Beinen schien die Kraft geraubt worden zu sein. Ich stand nur mühsam auf und bewegte mich dann weiter wie ein Greis, der Mühe mit dem Laufen hatte.
Es war still in meiner Wohnung. Es konnte mir auch keiner helfen, und ich mußte allein mit mir selbst und meinem Schicksal zurechtkommen. Meine Kehle war rauh. Ich wollte unbedingt einen Schluck trinken.
So schlurfte ich in die Küche, während sich auf meinem Körper der Schweiß abkühlte. Ich wollte kein Wasser aus der Leitung trinken, sondern holte mir die Flasche aus dem Kühlschrank. Auf ein Glas verzichtete ich. Ich drehte den Verschluß ab und trank aus der Flasche. Nicht alles Wasser lief in meine Kehle. Einige Tropfen rannen über das Kinn und auch auf meine nackte Brust.
Ich stellte die Flasche erst zur Seite, als sie leer war. Danach stützte ich mich auf der kleinen Arbeitsplatte ab, hielt den Kopf gesenkt und sorgte für einen ruhigen Atem. Ich mußte wieder normal denken. Ich wollte die Bilder aus meinem Kopf verscheuchen, aber das war nicht einfach. Sie blieben dort schon seit zwei Nächten. Jetzt hatte ich den dritten Alptraum hintereinander erlebt, und ich ahnte, daß es kein Zufall war.
Wer dem Beruf nachging wie ich, dessen Unterbewußtsein hatte einiges zu verarbeiten. Da war es ganz natürlich, daß die schweren Träume aus den Tiefen der Seele hervorstiegen. Ich war schließlich ein Mensch und keine Maschine, und ich hatte auch schon des öfteren schlimme Träume erleben müssen.
Aber nicht wie jetzt.
Der Mann hatte das Gesicht meines Vaters gehabt. Er hatte gemordet, obwohl ich keine Leichen gesehen hatte, sondern nur die mit Blut beschmierte Kettensäge.
Ich wußte noch verdammt genau, welchen Horror ich um den Tod meiner Eltern erleben mußte. Da war es nicht allein um meine eigene Trauer gegangen, da hatten auch andere Dinge eine Rolle gespielt. Da war es um die Bundeslade gegangen, um den äthiopischen Prinzen Lalibela, um Templer, um Salomo, um das Schwert, das sich jetzt in meinem Besitz befand, und um vieles mehr.
Ich hatte alles überstanden, auch den späteren Brand meines elterlichen Hauses, und ich war davon überzeugt gewesen, Ruhe zu finden. Das schien nicht mehr der Fall zu sein, denn der Mörder mit dem Gesicht meines Vaters war mir bewußt geschickt worden.
Ich war Realist genug, um davon auszugehen, daß dieser seelische Terror seinen Grund hatte. Es gab jemand oder eine Kraft, die alles wieder hochkochen lassen wollte. Und es gab auch Feinde, die mächtig genug waren, um mir diese grauenhaften Träume zu schicken, die mich fertigmachten.
Ich drehte mich von der Arbeitsplatte weg und öffnete das Fenster, weil ich jetzt einen Schwall frischer Luft brauchte. Es war fast zwei Uhr morgens. Über London lag der dunkle Himmel, der nie völlig finster war, weil manche Lichter der Großstadt dort einen schwachen Widerschein hinterließen.
Sterne sah ich nicht. Dafür war es zu
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