1124 - Aus dem Reich der Toten
gezogen habe. Sorry, aber ich konnte nicht anders.«
»Stimmt. Hätte ich auch so getan.«
»Und weshalb bist du hier?«
Die Frage gefiel ihr nicht. Plötzlich funkelte es in den blauen Augen. »Haben wir nicht andere Sorgen, als darüber zu diskutieren? Du solltest es einfach hinnehmen, John, und nicht weiter darüber spekulieren und fragen.«
»Im Moment schon. Das eine schließt allerdings das andere nicht aus. Das weißt du auch.«
»Aus deiner Sicht schon.«
Ich wollte ihr die nächste Frage stellen, aber sie drehte sich um und ging auf die beiden Fenster an der Rückseite zu. Sie stellte sich davor, ohne Angst zu haben, daß sie gesehen werden könnte. So wie sie reagierte eigentlich eine Komplizin.
Dabei sagte sie nichts. So wie sie stand jemand da, der nur den Ausblick genoß.
»Was denkst du über mich?« fragte sie.
»Willst du die Wahrheit hören?«
»Bitte.«
»Ich kann dich nicht einschätzen.«
»Und weiter?«
»Wir sollten, so denke ich, mal direkt und auch länger miteinander reden.«
»Haben wir das nicht gestern abend getan?«
»Hör auf. Da hast du mich ausgehorcht.«
Sie lachte gegen die Scheibe. »Was denkst du eigentlich von mir?«
»Vielleicht noch immer nicht das richtige. Aber was nicht ist, kann noch werden.«
»Du bist dir unsicher.«
»Im Moment noch, was dich angeht, Nora. Aber ich weiß, daß wir hier aus der verdammten Hütte heraus müssen, und das wird nicht einfach sein. Der Kettensäge-Killer kennt kein Pardon.«
Nora Thorn drehte sich wieder um und sah mich an. »Du kennst ihn, nicht wahr?«
»Ich habe ihn gesehen. Sogar in der letzten Nacht. Da kam es zwischen uns zum Kampf. Leider bin ich nicht als Sieger hervorgegangen, aber ich habe sein Gesicht gesehen und werde es nie vergessen.«
»Das kann ich mir denken«, sagte sie und schaute für einen Moment auf ihre Schuhe. »Wir müssen also raus und zu meinem oder deinem Wagen flüchten.«
»Ja, so sieht es aus.«
»Und wo hast du deinen Wagen abgestellt?«
»Ich bin so weit gefahren, wie ich es verantworten konnte. Der Weg wurde dann weich, und ich mußte den Wagen stehenlassen. Wahrscheinlich ist es dir auch so ergangen.«
»Ich parke auf einem kleinen Grillplatz.«
»Du kennst dich aus?«
Sie hob nur die Schultern.
Ich ärgerte mich darüber, daß Nora Thorn so wenig von sich preisgab. Sie war und blieb mir nach wie vor ein Rätsel. Ich mußte einfach davon ausgehen, daß sie ihr eigenes Spiel trieb und dabei die »Großwetterlage« nicht vergaß. Sie war eine starke Persönlichkeit, und im Laufe der letzten Minuten schien diese Stärke noch zugenommen zu haben. Für mich war sie ein verdammtes Rätsel.
»Eine Frage noch, bevor wir von hier verschwinden, Nora.«
»Bitte.«
»Warum bist du hier? Was hat dich hergetrieben? Warum haben wir uns am vergangenen Abend kennengelernt?«
»Nimm es als Schicksal hin.«
»Nein. Das Schicksal kommt und geht wie es will. Für mich ist es mehr eine Manipulation.«
Die nächste Reaktion überraschte mich ebenfalls, denn Nora kam auf mich zu und blieb so dicht vor mir stehen, daß sie mir beide Hände auf die Schultern legen konnte. »Ich weiß, was dich quält, John. Ich kann und will es dir nicht sagen. Später bestimmt. Geh einfach davon aus, daß man mich geschickt hat.«
»Das soll ich akzeptieren?«
Nora hob die Schultern. »Wir haben jetzt andere Sorgen, denke ich mir. Oder nicht?«
»Stimmt. Trotzdem bin ich gern informiert. Gerade in einem Fall wie diesem.«
»Das weiß ich, John, das weiß ich alles, aber ich möchte dich bitten, noch zu warten.«
Verdammt, es fiel mir schwer. Ich fühlte mich auch an der Nase herumgeführt und suchte ihren Blick.
Nora wich ihm nicht aus. Ich entdeckte auch keine Falschheit in ihren Augen. Sie senkte den Blick nicht, und ich hätte gern erfahren, was sie dachte. Das war mir nicht möglich, und so drehte ich mich zur Seite, so daß ihre Hände von meinen Schultern rutschten.
»Gut, akzeptiert. Ich sehe uns also als eine Schicksalsgemeinschaft an. Aber es werden auch andere Zeiten kommen.«
»Das kann ich nur hoffen.«
Ich machte einen Schnitt und erklärte ihr, daß wir uns um das Verschwinden kümmern mußten.
Nora ging auch sofort darauf ein und fragte: »Glaubst du, daß der Kettensäge-Mann noch hier in der Nähe ist?«
»Bestimmt.«
»Dann wartet er darauf, daß wir das Haus verlassen, um dann angreifen zu können, sollte man meinen«, sagte sie. »Aber ich bin mir da ehrlich gesagt nicht so
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