1127 - Der Gothic-Vampir
typisch Kevin. Geduld zählte nicht zu seinen Tugenden. »Keine Ahnung. Ich will mich erst hier unten umschauen.«
Johnny warf einen Blick auf seine Uhr. Noch sieben Minuten bis zur Tageswende.
Genau die richtige Zeit, um sich auf die Suche nach einem Skelett zu machen.
Unwillkürlich wanderten Johnnys Gedanken zurück in die nicht sehr, weit entfernt liegende Vergangenheit. Ebenfalls eine Klassenfahrt hatte ihn nach Griechenland geführt. Er war gekidnappt worden und auf einer Insel gefangengehalten worden, die Sodom hieß und einem gewissen Aristoteles Leonidas gehörte. Leonidas hatte die Familie Conolly gehaßt, weil er ihr die Schuld am Tod seiner Tochter gab. Johnny hatte auf die gleiche Art und Weise bezahlen sollen. Nun, es war nicht geschehen. Nadine Berger und andere Helfer sowie Freunde hatten eingreifen können, und Johnny war gerettet worden. [1]
Allmählich hatte er etwas gegen Klassenfahrten. Diese hier war sowieso die letzte. Andererseits hatte er sich selbst abgeseilt. Er hätte auch bei den anderen bleiben können, um die Nacht auf andere Art und Weise zum Tage zu machen.
»Bist du noch da?« klang Kevins ferne Stimme zu ihm herab.
»Ja, ja, ist alles klar.«
Der Junge leuchtete die nähere Umgebung ab. Das Licht geisterte über Wände, den Boden und die Decke hinweg. Es schreckte Kleingetier auf und fing sich an den dichten Spinnweben, die beinahe wie Wolle am Gestein der Decke und den Wänden hingen.
Er entdeckte einen Stollen und leuchtete hinein. Der Stollen war recht eng. Seine festen Wände glänzten feucht. Aber er war auch gut erhalten.
Die Luft wurde immer modriger. Sie stank.
Sehr lang war der Stollen nicht. Schon bald knickte er nach links weg. An der Ecke blieb Johnny stehen und leuchtete hinein in die neue Umgebung.
Das bleiche Licht der Stableuchte zerriß die Finsternis. Er sah, daß sich der Boden vor ihm leicht senkte. Der Weg endete in einer unterirdischen Höhle. Kein Verließ mit alten Mauern, es war einfach nur eine Höhle, die man hier hineingegraben und nicht abgestützt hatte.
Darüber wunderte sich Johnny. Alte Folterinstrumente hatte er erwartet, und auch dieses Skelett, das noch auf einem der Instrumente angeschnallt war. Auf einer Streckbank oder einem ähnlichen Gegenstand. Er sah beides nicht, als er weiterging und seine Sicht allmählich besser wurde.
Plötzlich erfaßte das Licht der Lampe einen am Boden liegenden Gegenstand.
Es gab keinen Zweifel. Johnny Conolly hatte das Skelett gefunden.
Nur hatte dieses knöcherne Ding keiner menschlichen Person gehört, sondern einer übergroßen und schon gewaltigen Fledermaus… Johnny ging methodisch vor. Fotografieren konnte er. Seine Kamera war auch super. Da brauchte er nichts mehr einzustellen, das tat sie automatisch, und bei diesen Lichtverhältnissen war das ungemein wichtig. Er wollte auch nicht nur eine Aufnahme machen, sondern mehrere und auch den Weitwinkel nicht vergessen.
Johnny knipste.
Zuerst von vorn. Der Blitz flammte auf. Johnny hatte das Weitwinkel-Objektiv eingestellt. Das behielt er auch bei, als er seinen Fund von den verschiedenen Seiten fotografierte. Danach ging er näher heran.
Jetzt holte er sich das aufgerissene Maul vor. Es war schrecklich und faszinierend zugleich. Das mußte sein Vater später sehen. Er würde sich auch über die Größe wundern, wie es auch Johnny getan und sich seine Gedanken gemacht hatte.
Derartig große Fledermäuse gab es nicht in der freien Natur. Was er hier gefunden hatte, war von der normalen Evolution einfach nicht betroffen gewesen. Nicht zum ersten Mal kam dem Jungen der Gedanke an einen großen Vampir.
Johnny schoß Foto für Foto. Immer wieder wechselte er die Perspektive, und er hatte seine Gefühle jetzt im Griff, denn er sah das Fundstück mehr als Objekt an.
Einmal legte sich Johnny sogar auf den Boden. Immer wieder zuckte der Blitz auf, und dann war plötzlich kein Bild mehr auf dem Film. Johnny hatte sicherheitshalber einen zweiten mitgenommen.
Im Licht der Lampe tauschte er die beiden aus und konnte weitermachen. Es gab noch einige Perspektiven, die er nicht so oft aufgenommen hatte. Das wollte er nun ändern.
Sehr dicht strich Johnny an seinem schaurigen Fundstück vorbei.
Er hatte diesen Knochenkörper bisher noch nicht richtig berührt, und das wollte er nachholen.
Mit einer Hand strich er über die graue, staubige Masse hinweg.
Die Knochen waren dünn, filigran, aber auch fest. Zumindest die dickeren ließen sich nicht so leicht
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