113 - Gebeine aus der Hexengruft
machte den Eindruck, als ob sie
seit Wochen unter einem geheimnisvollen, auszehrenden Fieber litte.
Ihre Hände waren weiß. Wenn Sie sprach,
suchte sie nach Worten, verlor sie den Faden und mußte des öfteren Pausen
einlegen.
„Die Kapelle“, sagte Peggy unvermittelt, als
ginge ihr etwas durch den Kopf, was überhaupt nicht zu dem paßte, worüber sie
eben gesprochen hatten. „Glaubst du an Gespenster, Morna?“ „Wenn du mich so
fragst, Peg: ja! Aber sag’, was ist mit der Kapelle?“
„Ich habe die Chronik studiert. So ein Unfug,
habe ich gedacht... dumme Geschichten von abergläubischen Menschen. Alle
unerklärlichen Todesfälle, alle Krankheiten, die man nicht heilen konnte - schrieb
man dem verderblichen Einfluß der Hexe zu.“
„Was für eine Hexe?“ Morna hatte das Gefühl,
als sei das, was Peggy Langdon sagen wollte, von großer Wichtigkeit für sie.
Etwas beschäftigte Peggy und ließ sie nicht mehr los. Morna machte sich
Gedanken.
„Die Geschichte von Cynthia Maniot, sie wurde
hier hingerichtet. 1636 oder 1638, ein Fluch soll damals wirksam geworden sein.
Mich interessierte diese Geschichte. Ich habe sie auch mit dem Bürgermeister
und dem Reverend erörtert - sie wissen viel darüber - seit ich dort war, bin
ich krank.“
Peggy warf wieder einiges durcheinander. Sie
meinte sicher, seit sie an der geheimnisumwitterten Kapelle gewesen sei, hätte
ihre Krankheit begonnen. Wie sie es jedoch ausdrückte, mußte man annehmen, der
Bürgermeister und Reverend McCorner seien an ihrem
Unglück schuld.
Das Gespräch wurde unterbrochen, als Dr.
Kilroy kam. Er horchte das Herz ab, zählte den Puls und maß Fieber.
„Alles normal“, murmelte er tonlos. Man sah
ihm an, daß er ratlos war.
Er gab Peggy Langdon noch eine Spritze.
Danach schlief sie ein.
Morna Ulbrandson sprach draußen im Flur mit
dem Arzt, als er sich anschickte, wieder zu gehen.
„Ich bin eine gute Freundin von Peggy, Dr.
Kilroy. Wir waren eine Zeitlang zusammen auf einer Mannequin- Schule. Das mag
komisch klingen, weil sie Lehrerin geworden ist, ich weiß. Sie war schon
Lehrerin, als sie diese Schule nebenher absolvierte. Aus Spaß an der Freude, um
mal ,einen lukrativen Nebenjob“ zu haben, wie sie sich scherzhaft ausdrückte.
Es könne immerhin mal der Fall eintreten, daß der Staat keine Lehrerinnen mehr
brauche.“
„Miß Langdon als Mannequin?“ Kilroy
schüttelte den grauen Kopf. „Das ist mir neu.“
„Sie ist auch eine ausgezeichnete
Schauspielerin“, fügte Morna noch hinzu. „In einem Amateur-Ensemble hat sie bemerkenswerte
Leistungen vollbracht. Ich könnte mir vorstellen, daß ihre Anwesenheit hier in
Brimsley recht anregend und fruchtbar sein wird.“
„Hm, ja“, murmelte Kilroy. „Ja, wenn es ihr
vergönnt wäre, all ihre Talente voll auszuschöpfen.“
Morna erschrak. „Sie ist sehr krank, nicht
wahr?“
Killroy nickte.
„Wie ist es gekommen, Doktor? Was hat sie?“
„Wenn ich das wüßte, Miß Ulbrandson, dann
wäre ich schlauer! Hat sie vielleicht Ihnen etwas anvertraut, was sie mir
möglicherweise verschwieg? Ich habe einen Verdacht - aber wenn dem so ist, dann
hat sie keine Chance mehr! Ich fürchte, sie wollte herausfinden, was es
wirklich mit der Kapelle auf sich hat.“
Morna Ulbrandson schluckte. „Ja, sie hat von
einer Kapelle gesprochen.“
„O mein Gott!“ Kilroy wischte sich über seine
Stirn. „Hab’ ich’s mir doch gedacht! Sie ist nicht die erste. Immer wieder
kommen solche Fälle vor. Ich habe in meiner Praxis selbst schon zwei erlebt. Es
ist wie ein Fieber. Es laugt den Körper aus. Die Kräfte schwinden. Die Hexe
Cynthia scheint alles Leben aus den Körpern zu saugen. Kennen Sie die Chronik?“
„Peggy hat versucht, mir einiges darzulegen.
Ganz verstanden habe ich sie allerdings nicht.“
„Verstehen tut sie niemand ganz. Man hält
sich jedoch danach. Sie sind fremd hier. Ich möchte Ihnen einen Rat geben:
Kommen Sie nicht auf die Idee, sich der Kapelle zu nähern! Bezähmen Sie Ihre
Neugierde! Gerade Fremde sind besonders gefährdet. Sie glauben, das Ganze sei
ein Witz oder Aberglaube. Cynthia Maniot wurde tatsächlich hier in Brimsley im
wahrsten Sinne des Wortes zu Tode gefoltert. Sie versprach, sich an den
Einwohnern dieser Stadt zu rächen. Aber sie hat nicht gesagt, wann dies sein
wird und wie dies geschehen würde. Es ist etwas Wahres dran. Wer den
historischen Ablauf kennt, dem ist heute klar, daß sie in der Nacht nach ihrem
Fluch spurlos verschwand. Das
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