1133 - Der Mönch mit den Totenaugen
anders. Bevor er klopfte, wurde ihm bereits geöffnet. Die Sommerhexe hatte alles gesehen, und sie wollte ihn auch nicht zu lange auf die Folter spannen. Die Tür kratzte über den Boden, als sie aufgezogen wurde. Er kannte das Geräusch. Es brachte ihn auch nicht mehr durcheinander, denn er hatte nur Augen für seinen Sommertraum.
Sie stand vor ihm. Sie strahlte ihn an. Er hätte sie kaum beschreiben können, denn er war nicht objektiv.
Schönheit ist sowieso relativ. Für ihn war sie die schönste Frau der Welt. Er kannte keine anderen, er wollte auch nicht vergleichen. Ihm fehlte da nichts, und er war mit ihr völlig zufrieden.
»Komm…«
Sie sprach mit einer völlig normalen Stimme. Für Aslan war sie wie der Klang erotischer Sirenen.
Er liebte alles an ihr. Sie war eine Göttin. Er betrat zitternd und mit eingezogenem Kopf die Hütte und war noch längst nicht in der Lage, seine Scheu abzuwerfen. So war es immer bei ihren Treffen.
Bei ihm hatte sich das Spannungsfeld aufgebaut, und erst seine Sommerliebe würde es später wieder abbauen.
Zunächst tat sie etwas ganz profanes. Sie schloß die Tür hinter ihm. Das tat ihm gut. Er fühlte sich jetzt sicherer. Die beiden Fenster der Hütte gingen zum See hinaus. Sie stand auf keinem Steg. Man mußte schon noch einige Schritte laufen, um an das Wasser zu gelangen, aber das tat ihrem Liebesnest keinen Abbruch.
Allmählich beruhigte sich sein Atem. Seine Augen hatten sich an das seltsame Licht gewöhnt. Es war nicht direkt dunkel, weil Mondschein durch die beiden kleinen Fenster streifte. Er fiel auch auf das Bett, das eigentlich kein richtiges war, sondern mehr eine Liegestatt. Etwas erhöht, gebildet aus Kissen und einem darauf liegenden Fell.
Sie kam zu ihm. Dicht vor Aslan blieb sie stehen. Er war noch so nervös, daß er kein Wort hervorbrachte und sich vorkam wie ein kleiner Junge. Sie hob ihre Hände an und legte sie ihm flach auf die Brust. »Das Herz schlägt so schnell«, flüsterte sie.
»Ist das ein Wunder?«
»Weiß nicht.«
»Ja, ich freue mich auch. Wir haben Zeit, sehr viel Zeit. Wir werden uns erst in den frühen Morgenstunden trennen und alles genießen können.«
»Wirklich?« fragte er mit rauher Stimme.
»Bestimmt. Komm…«
»Wohin?«
Sie gab ihm die Antwort auf ihre Weise. Die Sommerhexe faßte nach seiner Hand und zog ihn fort.
Er ließ sich gern zum Lager bringen, aber dort blieb sie stehen und bückte sich. Sie nahm eine schon geöffnete Flasche Wein hoch und schwenkte sie vor seinen Augen hin und her.
»Weißt du, was ich hier habe?«
»Nein.«
»Das ist Beerenwein. Recht stark, auch süßlich, und genau das Richtige für uns.«
»Ah ja…«
»Wir werden ihn gemeinsam trinken.«
»Ich freue mich.«
Aslan ärgerte sich, weil er immer nur in kurzen Sätzen antwortete. Er konnte nicht anders, denn die Nähe der Sommerhexe machte ihn fast zu einem anderen Menschen.
Ob sie dem Schönheitsideal der normalen Menschen entsprach, das konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen. Es mochte so sein, doch da war er nicht sicher. Zumindest war sie eine wilde Person.
Nicht sehr groß, mit einem üppigen Körper. Mit Haaren, die schimmernd auf dem Kopf wuchsen, als wären sie hell durchsträhnt worden. Eine hohe Stirn, hervorstehende Wangenknochen, ein breiter Mund mit vollen Lippen, von denen etwas Sinnliches ausging.
Ihr Körper war stramm und fest. Die Haut schimmerte hell, beinahe schon weiß, und ihre Brüste standen vor wie zwei spitze Kugeln. Wie gern hätte er sie in den Arm genommen, aber Aslan traute sich nicht. Dafür schaute er zu, wie sie den Beerenwein in zwei kleine Tongläser füllte und ihm eines reichte.
Er roch daran.
»Traust du mir nicht?« fragte sie.
»Doch, schon, aber ich habe so etwas noch nie gerochen, auch nicht getrunken.«
»Es ist ein guter Wein. Er wird dir schmecken. Davon bin ich überzeugt. Auf uns.« Sie stieß mit ihrem Gefäß gegen das seine, und dann tranken sie.
Aslan probierte zuerst nur einen kleinen Schluck. Er schmeckte auch nach und war begeistert, was er durch ein heftiges Nicken dokumentierte. »Der ist wunderbar.«
»Trink das Glas leer.«
»Und dann?«
»Trink es leer!«
Der Mönch hätte für diese Frau alles getan. So war es leicht für ihn, das Gefäß bis auf den Grund zu leeren. Der Wein schmeckte süßlich, nach Erd- und Johannisbeeren. Er war auch recht dick, und er war ein Genuß.
»Leer?« fragte sie.
»Ja.«
»Das ist gut. Den nächsten Schluck heben wir uns für
Weitere Kostenlose Bücher