1133 - Der Mönch mit den Totenaugen
denn ich spürte den Luftzug.
Er holte wieder aus.
Ich schoß noch einmal.
Die Kugel erwischte ihn in der Brust. Der Einschlag stieß ihn zurück, für einen Moment taumelte er, und ich sah mich schon auf der Siegerstraße.
Ich huschte nach vorn. Eine andere Möglichkeit gab es leider nicht, weil das Dach nicht breit genug war. Ein großer Schritt, dann noch einer - und ich rutschte aus.
Es waren furchtbare Sekunden für mich, denn die Aktion hatte mich in eine wehrlose Lage katapultiert. Ich kniete auf dem Dach, den Oberkörper hielt ich schräg, das linke Bein war noch weggerutscht, und ich sah den Mönch vor mir.
Er war von zwei geweihten Silberkugeln getroffen worden, doch er lebte noch immer.
Und er schlug zu.
Begleitet von Alissas Schreien, jagte der scharfe Stahl der Waffe auf mich zu…
***
Ich war blitzartig in diese lebensgefährliche Lage hineingeraten und gab keinen Pfifferling mehr für mich. Die Sense konnte mich einfach nicht verfehlen, doch es kam anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Die Sense hätte meinen Körper an der Brust erwischt und ihn womöglich in zwei Hälften geteilt, aber es passierte etwas, das ich nur als wahnsinniges Glück bezeichnen konnte.
Ich wurde getroffen, aber nicht nur ich. Wichtig war das, was von der Sense erwischt wurde.
Mein Kreuz!
Und genau das entfaltete seine Kraft. Für mich war nur ein kurzer Ruck spürbar, dann schoß vor meinen Augen das helle Licht in die Höhe. Schlagartig lag das Dach nicht mehr im Dunkeln. Ein greller Silberkranz hatte sich vor mir und um mich herum aufgebaut. Ich hörte einen Schrei und riß die Augen weit auf.
Der Mönch war noch da. Innerhalb des Lichtscheins hatte er sich jedoch in einen starren und düsteren Schatten verwandelt, der sich nicht mehr bewegte. Zumindest hatte ich den Eindruck. Ich sah die gebogene Klinge der Sense nicht mehr so dicht vor mir. Eine andere Gewalt hatte sie von mir weg getrieben, und plötzlich hörte ich über mir ein Heulen, als hätte sich der dunkle Himmel geöffnet.
Ein Windstoß fegte über das Dach hinweg, erfaßte auch mich, und ich war froh, daß ich halb kniete und halb lag. So fuhr der Wind über mich hinweg.
Aber er packte die Horror-Gestalt mit der Sense. Er riß sie mit wie ein Blatt. Er schleuderte sie über den Rand des Waggons hinweg, wo sie zu Boden fiel, ich aber keinen Aufschlag hörte.
Ich richtete mich wieder auf, denn der Windstoß war vorbei. Mein Weg führte zur anderen Dachseite hin. Ich wußte, wo er liegen würde, schaute nach unten, sah ihn aber nicht. Dafür entdeckte ich weiter entfernt eine fliehende oder wie weggetriebene Gestalt, die sich sehr schnell bewegte und den Boden kaum berührte. Sie jagte hinein in die Dunkelheit, die sie schließlich verschlang.
Ich atmete tief durch. Ich machte mir klar, daß ich noch lebte und daß mich mein Kreuz gerettet hatte, nicht die geweihten Silberkugeln.
Auch Geisterjäger sind Menschen wie alle anderen auch. In meinen Knien breitete sich das weiche Gefühl aus. Es fiel mir schwer, am Rand stehen zu bleiben, der dunkle Boden saugte mich an. Sicherheitshalber ging ich wieder bis auf die Dachmitte zurück und ging dort in die Knie, um mich etwas zu erholen.
Der Atem ging schwer. Durch diese Geräusche hörte ich einen leicht metallischen Klang, der entstand, weil jemand die Leiter hochkletterte. Er nahm den gleichen Weg wie ich, und über die Kante hinweg schaute mich ein Augenpaar an.
Es war Father Ignatius, der es nicht neben dem Waggon ausgehalten hatte.
Ich grinste ihn an. »Es hat noch mal alles geklappt.«
»Ja, das sehe ich«, flüsterte mein Freund aus Rom. Er kam zu mir und half mir hoch. »Was ist genau passiert?«
»Laß uns erst mal nach unten steigen.«
»Gut.«
Ich war zwar noch etwas zittrig auf den Beinen, aber der Abstieg vom Waggon klappte recht gut.
Alissa wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie schaute mich an wie einen Fremden und flüsterte einige Worte in italienischer Sprache. Dabei schüttelte sie den Kopf.
Auch Ignatius war wieder bei mir. »Ich denke, daß wir jetzt in etwa wissen, mit wem wir es zu tun haben.«
»An was denkst du?«
Ich blickte in sein von Zweifeln geprägtes Gesicht. »Er kann einmal ein Mensch gewesen sein und muß dann unter den Einfluß oder die Kontrolle eines Dämons geraten sein. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.«
»Und er hat Angst vor deinem Kreuz.«
»Zum Glück.«
»Deutet das auf den Teufel und seine Magie hin?«
»Davon gehe
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