1134 - Alissas Vater
auf.
Ein Lächeln setzte sich um ihre Lippen herum fest. Franca merkte, daß ein neues Leben vor ihr lag und daß dieses Leben nicht von ihr allein geführt wurde, sondern im Kreis einer besonderen Familie.
Sie ging weiter.
Das Licht lockte sie.
Es füllte den gesamten unteren Teil aus. Es schwamm über dem Boden, und jetzt sah sie, daß es sich auch leicht bewegte. Es konnte nur von Kerzen stammen, auf deren Dochte die kleinen Flammen tanzten und jedem Luftzug nachgeben mußten.
Noch eine Kehre, dann hatte sie es geschafft.
Die letzten Stufen führten direkt zum Ziel. Franca holte tief Luft und blieb stehen. Im ersten Augenblick konnte sie nicht glauben, was sie sah.
Es war eine Welt für sich, die sich hier tief in der Erde ausgebreitet hatte. Ein kleines Wunder, hell und trotzdem dunkel, aber gerade noch so hell, daß sie das Wasser erkennen konnte, das oberschenkelhoch den Boden dieser Höhle bedeckte.
Aus dem Wasser hervor ragten an zahlreichen Stellen die Felsen wie kleine Köpfe. Und auf ihnen hatten die Kerzen ihren Platz gefunden. Leicht zitternd umgaben die Flammen die Dochte. Sie ließen auf dem Wasser Reflexe zurück, breiteten sich aus und schienen sich dort zu versammeln, wo die nackte junge Frau stand.
Sie war so schön. Sie war so jung. Sie hatte einen perfekten Körper, und Franca wurde bei diesem Anblick an ihre eigene Jugend erinnert. Auch ihre Brüste waren so herrlich fest gewesen und das dunkle Haar ebenso lang.
So hatte sie es geschafft, den Mönch zu verführen, und in dieser anderen Frau sah sie sich selbst.
Noch immer stand sie auf der Treppe, und dann flüsterte sie ihren Namen.
»Hallo, Alissa…«
***
Bisher hatte sich die Nackte nicht gerührt. Sie stand im Wasser, den Kopf zurückgelegt, die Augen geschlossen. Ihre Hände hatte sie gegen den Körper gedrückt, und sie wirkte wie in tiefer Trance versunken.
Jetzt hatte sie die Stimme der Frau gehört, und es kam langsam Bewegung in die starre Gestalt.
Sie drehte sich um.
Mutter und Tochter starrten sich an. In ihren Gesichtern bewegte sich nichts. Auch Franca war zu sehr geschockt. Sie wurde von einem wilden Gefühl übermannt. Daß sie an diesem Ort ihre Tochter nach all den Jahren wiedersehen würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Sie schwankte leicht und hatte Mühe, die Fassung wiederzufinden.
Alissa lächelte. Sie gab sich ungezwungen. Dann hob sie eine Hand und streckte sie Franca entgegen. »Du bist meine Mutter«, flüsterte sie. »Ich habe gewußt, daß wir uns wiedersehen. Aslan hat nicht gelogen. Er wollte eine Familie haben. Er wollte dafür sorgen, daß wir hier, am Ort seines Triumphes, zusammenkommen, und das hat er geschafft. Es ist einfach wunderbar, denn hier hatte er sterben sollen, aber er starb nicht. Er war besser als die anderen. Er holte sich den wahren Meister als Helfer, und er hat sie alle getötet. Das hier ist einmal sein Gefängnis gewesen. Es hat sich einiges verändert, denn es sind Mauern eingefallen, und es ist Wasser in die Höhle eingebrochen. Ich aber weiß diesen Ort schon zu schätzen, und ich will, daß du dich wohl fühlst. Zu lange sind wir getrennt gewesen…«
Franca hatte zugehört, ohne ihre Tochter zu unterbrechen. »Bist du allein?« fragte sie dann.
»Nein, bestimmt nicht.«
Die nächste Frage fiel ihr schwer, aber sie stellte sie trotzdem. »Und wo ist er? Wo ist er hin? Wo kann ich ihn finden? Bitte, sag es mir, Alissa.«
»Keine Sorge, Mutter, er ist hier.« Sie lächelte Franca entgegen. »Du hast nichts zu befürchten.«
»Das weiß ich, aber ich möchte ihn sehen.«
Alissa nickte. Dann drehte sie sich in eine andere Richtung und schaute auf die gegenüberliegende Wand.
Auch Franca blickte dorthin. Jetzt, als sie sich darauf konzentrierte, erkannte sie, daß es dort gar keine richtige Wand gab, sondern eine große runde Öffnung, aus der das Gestein herausgebrochen war. Dieser offene Kreis war wie ein Tor.
Franca konnte nicht genau hindurchsehen, denn darin wallten dünne Dunstschwaden, die vom Boden her bis an den oberen Rand stiegen. Aus dem Dunst schälte er sich hervor.
Francas Herz klopfte schneller. Ihr Blut floß wie ein rauschender Bach. Sie hatte Mühe, etwas sehen zu können, und sie sah eine Gestalt, die dem Mönch, den sie von früher her kannte, nicht mehr glich. Er hatte sich verändert. Seine Umrisse waren noch die eines Menschen, aber das Gesicht war zu einem anderen geworden. Es wirkte blaß, es schimmerte grünlich, und er sah aus wie
Weitere Kostenlose Bücher