1138 - Zurück aus der Hölle
bewegten sich. Sehr helle Augenpaare, denen nichts entging, und die auch Harry Stahl für einen Moment kalt fixierten.
Er schaute nicht zur Seite und bewegte seine Augenbrauen, was den beiden nicht gefiel. Unangenehm dicht blieben sie vor Harry stehen. Einer fragte: »Alles okay bei Ihnen?«
»Es könnte nicht besser sein.«
»Wunderbar. Das hören wir gern.«
Sie gingen weiter und kamen sich vor wie die Könige. Harry Stahl fragte sich, ob sie normale Menschen waren oder schon eine Wanderung in eine andere Dimension hinter sich hatten. Er wusste es nicht. Man sah es ihnen auch nicht an. Erst wenn sie ihre Köpfe drehten, gaben sie preis, wer sie wirklich waren.
Harry bewegte sich lässig auf den Ausgang zu. Er sah den Verkehr auf der Allee Unter den Linden vorbeirollen. Er sah die Menschen, die den Eingang der Passage passierten. Wie Figuren wirkten sie hineingestellt in das trübe Wetter dieses Samstags.
John musste jetzt oben bei Madame Tarock sein. Harry wartete darauf, dass sich sein Handy meldete und er etwas von seinem Freund zu hören bekam.
Er selbst erreichte das Ende des Gangs und blieb stehen. Er kam sich vor wie jemand, der einen Tunnel verlassen hatte. Er blieb auf dem Bürgersteig stehen. Vor ihm bewegten sich die Passanten hin und her, auf der Straße gab es stop and go. Trotzdem lächelte Harry, denn er hatte das gelbe Taxi gesehen, das stoppte. Auf dem Beifahrersitz saß eine Frau, deren rotes Haar durch die Scheibe schimmerte. Es war eine Pracht, die Dagmar nur schwer bändigen konnte. Da brachte auch ein Kurzhaarschnitt nichts, und so ließ sie es auf eine gewisse Länge wachsen, um es manchmal mit einer Schleife am Hinterkopf zusammenzubinden.
Als sie ausstieg und sich aufrichtete, spürte sie die Hände auf den Schultern ihres hellbraunen Kamelhaarmantels, wurde zurückgezogen und fand Halt an Harrys Körper.
»Du glaubst gar nicht, wie lange ich darauf gewartet habe«, sagte er und drehte Dagmar herum.
Sie umarmten sich. Und auf den Kuss hatten beide lange gewartet. Es störte sie auch nicht, dass Menschen zuschauten. Der Fahrer fuhr grinsend weg, und Harry zog Dagmar auf den Eingang der Passage zu.
»Jetzt brauche ich was zu trinken«, sagte sie.
»Kaffee?«
»Auch. Und etwas Kaltes. Du glaubst gar nicht, welchen Durst ich habe. Muss wohl am Wetter liegen. Das ist einfach schrecklich. Nicht warm, nicht kalt und doch eigentlich zu warm für diese Jahreszeit, so dass man ins Schwitzen kommt.«
»Es gibt da vorn ein Bistro.«
»Wunderbar. Auch freie Plätze?«
»Vorhin schon.«
Bevor sie die Passage betraten, blieb Dagmar Hansen stehen und fragte: »Wo steckt John?«
»Ich erzähle es dir gleich.«
»Ist er nicht hier in der Nähe?«
»Nein. Oder wie man's nimmt.«
»Du machst es spannend.«
»Hört sich nur so an.«
In den folgenden Sekunden sagte Dagmar nichts. Sie meldete sich erst, als sie einige Meter weit in die Passage hineingegangen waren. Wie eine Schutzsuchende griff sie nach Harrys Arm. »Ich weiß nicht, aber diese Umgebung sagt mir nicht zu.«
»Da sind wir einer Meinung.«
»Selbst Weihnachtsstimmung kommt hier nicht auf, und die Klamotten in den Läden kosten ein Vermögen. Egal, ich brauche jetzt was zu trinken.«
Harry deutete nach vorn und auch nach rechts. »Dort ist das Bistro. Wir können uns auch vor die Scheibe in den Gang setzen und Passanten beobachten.«
»Seit wann bist du so neugierig auf andere?«
»Seit ich einen Grund dazu habe.«
Sie lachte und stieß ihn an. »He, du verschweigst mir einiges, mein lieber Harry.«
»Ja, und das nicht ohne Grund.«
»Dann bin ich auf die Aufklärung gespannt.«
Sie fanden einen Tisch mit zwei freien Stühlen. Beide setzten sich so, dass sie sich anschauen konnten. Dagmar Hansen zog den Mantel nicht aus, sondern knöpfte ihn nur auf. Darunter trug sie eine schwarze Hose und einen lindgrünen Pullover mit Zopfmuster. Sie hatte nur wenig Make-up aufgelegt, so dass ein großer Teil ihrer Sommersprossen nicht verdeckt war.
Über den Tisch hinweg fasste Harry nach Dagmars Hand. »Ich bin froh, dass du es geschafft hast.«
»Ich auch.« Ihre Augen mit den leicht grünen Pupillen bekamen einen weichen Ausdruck, und auch die blass geschminkten Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Ich wollte nur, es wäre privat und nicht dienstlich. Das gibt immer Stress.«
»So wird es auch hier sein.«
Bevor Dagmar eine Frage stellen konnte, tauchte die Kellnerin auf, eine junge Frau mit schwarzem Minirock und
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