1145 - Das Haus der Selbstmörder
Hier oben hin, wo ich stehe. Erst dann sehen wir weiter.«
Garret stand links neben mir. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Ja, Sinclair, tun Sie, was er verlangt hat.«
Kessler meldete sich wieder. »Wenn du nicht kommst, Sinclair, dann springe ich.«
»Bleib cool. Ich komme, aber zuvor will ich wissen, woher du mich kennst, John.«
»Man kennt dich eben, Geisterjäger.«
Garret grinste und meinte: »Sie scheinen ja eine richtige Berühmtheit zu sein.«
»Es hält sich in Grenzen.«
»Nicht so bescheiden. Ihr Ruhm spricht sich schon herum. Selbst bis in die Provinz.«
Ich wollte mich auf keine weiteren Diskussionen einlassen und Kesslers Wunsch nachkommen. Es dauerte ihm zu lange, denn wieder gellte uns seine Stimme entgegen. Diesmal klang sie schriller.
»Wenn du nicht kommst, springe ich!«
»Keine Panik - bin schon unterwegs…«
***
Ich musste den Hügel hoch. Es war keine lange und große Strecke, auch nicht sehr steil, es war mehr eine Böschung, die mit hohen Gräsern und kleineren Sträuchern bewachsen war, deren Wurzelwerk sich in das feuchte Erdreich festgeklammert hatte.
Ein weicher, fast schon krümeliger Boden. Auch mal glatt, etwas rutschig, so dass ich zweimal ausglitt, mich aber wieder fangen konnte.
Es war wirklich eine normale Böschung, über die ich dem Haus entgegenschritt. Ich machte mir über diesen Boden auch keine Gedanken, denn mich interessierte viel mehr die dunkle Steinfassade des Gebäudes und die erleuchteten Fenster. Und noch etwas anderes. Mir kam es vor, als hörte ich weiche, sehr leise und auch sehr weit entfernte geisterhafte Stimmen, die sanft durch die Luft schwebten und mich begleiteten.
Wäre ich nicht aus dem obersten Fenster beobachtet worden, hätte ich meinen Weg unterbrochen.
So setzte ich ihn fort, allerdings etwas langsamer, um mich besser auf die Stimmen konzentrieren zu können.
Ich bildete sie mir nicht ein. Es gab sie. Sie zischelten, sie flüsterten, sie waren weit entfernt und doch so nah. Leider verstand ich kein einziges Wort. Es waren und blieben Geisterstimmen, die mich begleiteten.
Das Kreuz hing vor meiner Brust. Ich war schon leicht enttäuscht, dass ich von ihm keine Reaktion erlebte. Nicht der Hauch eines Wärmestrahls glitt darüber hinweg und berührte meine Haut.
Das Haus war ein Klotz. Eine mächtige und dunkle Fassade. Kein Herrenhaus, kein kleines Schloss, sondern aus Ziegelsteinen errichtet und eben mit diesen großen Fensteröffnungen versehen, die allesamt lichterfüllt blieben.
Der Schein war schon besonders. Nicht nur, dass er nicht nach außen drang, es kam auch noch etwas anderes hinzu. Jetzt, wo ich nahe an das Haus herangekommen war, hätte ich eigentlich das Ausbreiten des Lichts auch nach innen sehen müssen. Das war ebenfalls nicht der Fall. Es blieb auf die Fensteröffnungen beschränkt. Ganz oben, unter einem Stück des dreigeteilten Daches malte sich die dunkle Gestalt des Jack Kessler im hellen Schein ab.
Bis vor kurzem hatte ich geglaubt, der falsche Mann für diesen Fall zu sein. Nachdem die Stimmen an meine Ohren gewispert waren, sah ich das anders. Hier stimmte etwas nicht. Zumindest nicht mit der Umgebung des Hauses. Was mit ihm selbst war, würde ich noch herausfinden müssen.
Die letzten Meter des Weges waren steiler, und ich musste kräftiger ansteigen. Dabei fiel mir auf, dass es sogar eine Holztreppe gab, die in den Boden eingelassen worden war. Sie war nur schwer zu erkennen, da sich das Gras und andere Pflanzen im Laufe der Zeit über das Holz ausgebreitet hatten.
Vor der Treppe blieb ich stehen. Wieder schaute ich nach oben, sah Kessler, der mir zuwinkte.
»Komme weiter. Einen Teil hast du ja geschafft, Sinclair.«
»Klar, ich wollte mich nur etwas ausruhen.«
»So schwach bist du nicht.«
Ich winkte lässig ab und fragte: »Ist die Haustür denn offen?«
»Für dich immer.«
»Oh, dann bedanke ich mich dafür, dass du alles vorbereitet hast. Wir werden sicherlich ein interessantes Gespräch haben.«
»Ja, darauf warte ich.«
Er sagte nichts mehr, und mich umgab wieder Stille. Und die Stimmen? Waren sie da? Oder waren es nur die Geräusche des Windes, die ich hörte? Hatte ich mir die Stimmen vielleicht doch eingebildet?
Ich drehte mich um.
Der Hang senkte sich, und an seinem Ende hätte ich eigentlich Garret vor dem dunklen Wald stehen sehen müssen. Ich sah ihn nicht mehr. Es konnte dort auch zu dunkel sein, denn dass er sich zurückgezogen hatte, bezweifelte ich.
Ich wusste
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