1145 - Das Haus der Selbstmörder
über das Innere des Hauses. Mir kam es vor, als wäre es ausgebrannt, so dass nur die Treppen übrig geblieben waren. Das Geländer war verschwunden. Es gab nichts, woran ich mich hätte festhalten können.
Stufe für Stufe stieg ich hoch. Es klappte alles wunderbar. Nichts zitterte oder schwang unter meinen Füßen.
Um mich herum war es zwar düster, aber nicht finster. So konnte ich gut und gerne auf meine eigene Lampe verzichten. Ich richtete mich nach den erhellten Fenster-Vierecken, die es nur an der Vorderseite gab. Die Rückseite des Hauses bestand aus einer Mauer ohne Fenster.
Und es konnte sich auch niemand an den Fenstern aufhalten. Es sei denn, er schaffte es, in der Luft zu schweben, denn für seine Füße gab es keinen Halt. Nicht einmal eine schmale Fensterbank, an der er sich hätte abstützen können.
An der ersten Etage war ich schnell vorbei und nahm den Weg zur zweiten in Angriff. Dass das Haus schmaler wurde, hatte ich nur von außen gesehen. Hier im Innern fiel es nicht weiter auf.
»Kessler?«, rief ich, weil ich mich darüber wunderte, dass er sich nicht gemeldet hatte.
»Ich bin noch da.«
»Das wollte ich nur wissen.«
»Komm endlich her.«
»Immer langsam. Ich kenne mich hier nicht aus, im Gegensatz zu dir, mein Freund.«
»Auf der Treppe wird dir nichts passieren.« Er hatte mit einem seltsamen Unterton in der Stimme gesprochen, der mich aufhorchen ließ. Ich ging allerdings nicht näher darauf ein. So setzte ich meinen Weg fort und nahm auch den letzten Absatz in Angriff, den Kopf leicht in den Nacken gedrückt, um Kessler so schnell wie möglich zu sehen.
Er wartete auf mich. Er wollte mich sehen, und er stand tatsächlich auf einer Plattform. Oder einem Fußboden. Es hätte mich auch gewundert, wenn er in der Luft geschwebt wäre.
Es war ein normaler Fußboden, auf den die Treppe endete. Ich sah ihn noch als Decke, und wenig später nahm ich die letzte Stufe und trat auf Jack Kessler zu.
Er ging einen Schritt zurück. Hinter ihm malte sich das mit Licht erfüllte Rechteck ab, das auch mit dem dunklen Fußboden abschloss. Nichts strahlte mir entgegen. Nichts glitt nach draußen, und wieder wurde ich an einen gelben Vorhang erinnert.
Ich schaute Kessler an. Er stand zwar nicht unbedingt im Hellen, trotzdem war er gut zu sehen. Es war ungefähr so groß wie ich, hatte dunkle Haare, die sehr kurz geschnitten waren, ein kantiges Gesicht, in dem das eckige Kinn besonders auffiel, breite Schultern, lange Arme und kräftige Hände.
Diesen Jack Kessler konnte man durchaus als starken Mann bezeichnen. Trotzdem kam er mir nicht so vor. Vielleicht lag es auch an seiner Haltung, denn er hatte die Schultern in die Höhe gedrückt und den Kopf ein wenig eingezogen.
»Zufrieden?«, fragte ich.
Kessler nickte zunächst. Dann trat er vor und blieb dicht vor mir stehen, sodass ich seinen leicht säuerlichen Geruch wahrnahm. Flüsternd stellte er die nächste Frage. »Darf ich dich anfassen?«
Die Frage wunderte mich zwar, doch ich hatte nichts dagegen. »Wenn du willst, gern.«
Er tat es zögernd, so dass es schon eine Weile dauerte, bis er mit der Handfläche über die Haut an meinem Hals hinwegstrich. Es kam mir vor, als wollte ein Vampir prüfen, ob die wichtige Halsschlagader noch vorhanden war.
»Zufrieden?«, erkundigte ich mich.
»Ja, ja«, sagte er schnell. »Ich bin zufrieden. Ich weiß, dass du John Sinclair bist und dass du lebst. Du bist ein lebender Mensch, und du bist für mich etwas Besonderes.«
»Danke, Jack. Aber woher kennst du mich? Ich kann mich nicht an dich erinnern.«
Er trat wieder zurück. »Das glaube ich dir auch, John. Ja, das glaube ich dir.«
»Woher kennst du mich?«
Ich sah ihn zum ersten Mal lächeln. Dabei legte er den Kopf schräg. »Man kennt dich eben, John Sinclair. Ich habe von dir gehört. In gewissen Kreisen bist du bekannt.«
»Wer sind diese Kreise?«
»Das weiß ich nicht.«
»Gut, lassen wir es. Ich bin hier und habe dir somit einen Wunsch erfüllt. Mich aber würde interessieren, weshalb du mich geholt hast. Warum sollte ich zu dir kommen?«
Er starrte zu Boden. Es fiel ihm schwer, die richtigen Worte zu finden. Er hatte die Lippen zusammengepresst und bewegte sich unruhig auf der Stelle.
»Bitte, warum?«, drängte ich.
»Ich will nicht…«
»Sorry, aber das verstehe ich nicht.«
»Ich will nicht. Aber ich kann mich dagegen nicht wehren. Ich muss es tun, verstehst du?«
»Was musst du tun, Jack?«
Er hob den Kopf wieder
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