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1149 - Begraben, aber nicht vergessen

1149 - Begraben, aber nicht vergessen

Titel: 1149 - Begraben, aber nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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das Alter des Toten auf mindestens achtzig Jahre. Die Haut war zwar noch vorhanden, doch sie war so dünn, dass sie jeden Augenblick zu reißen drohte. Sein Mund war geöffnet, und Kuzow konnte keine Lippen erkennen.
    So sah die Öffnung aus wie der Eingang zu einer Höhle. Während seines letzten Atemzugs musste er erstarrt sein, ohne es geschafft zu haben, noch ein Wort des Abschieds zu sprechen.
    Ein Skelett war der Tote nicht. Viel fehlte jedoch nicht, um diesen Zustand zu erreichen. Die Haut auf dem Körper war ebenso dünn wie die auf dem Gesicht. Deutlich zeichneten sich die Knochen ab. Besonders die an den Ellbogen und an den Knien. Wahrscheinlich war der Mann schon während seines Tods so stark abgemagert gewesen.
    Dann aber hatte es ihn erwischt wie auch die anderen Toten, die Karel Kuzow schon aus dem See geholt hatte. Immer wieder stellte er sich die Frage, wie viele dort unten noch lagen, und welches Ereignis dafür gesorgt hatte, dass der See sie verschlungen hatte, um sie dann auf eine solche Art und Weise wieder freizugeben, als hätte er genug von ihnen.
    Fragen und Fragen, aber keine Antworten. Kuzow konnte nur den Kopf schütteln. Er tat, was er konnte oder was er tun musste, und seine Arbeit war mit dem Hervorholen der Leiche noch nicht beendet. Sie ging weiter, und er würde auch weitermachen, das hatte er sich auf die Fahne geschrieben.
    Die Leiche des Mannes war leichter als die der Frau. Kein Wunder, er bestand nur aus Haut und Knochen. Kuzow hob ihn an und trug ihn zu seinem Trecker. Dort schob er ihn wieder auf die Ladefläche des Leiterwagens.
    Zwei Tote in einer Nacht. Nicht nur eine gute, sondern auch eine optimale Ausbeute. Kuzow wusste auch, was er weiterhin zu tun hatte. Aber nicht hier, sondern dort, wo er wohnte. Nah am Ort und trotzdem so weit entfernt, dass er von den anderen Bewohnern in Ruhe gelassen wurde.
    Er stieg auf seinen Trecker. Das Fahrzeug war alt und verrostet, aber es tat noch immer seine Pflicht, und selbst der Schnee, der wie ein dünnes Leichentuch über dem flachen Land lag, konnte ihn nicht am Fahren hindern.
    Karel Kuzow startete.
    Niemand sah ihn. Niemand wollte ihn auch sehen, denn die anderen Menschen fürchteten sich davor, in der Nacht an das Ufer des Sees zu gehen.
    Zu Recht, aber das war nicht ihre Sache. Die Schuld trugen andere, ganz andere…
    ***
    Die helle Schneefläche war ihm Beleuchtung genug gewesen. So hatte Kuzow darauf verzichtet, das Licht einzuschalten. Er dachte auch an die Batterie, die den restlichen Winter hoffentlich noch durchhielt. Es war für die Menschen die schlimmste Jahreszeit. Viel zu lange, viel zu kalt, als hätten die Eisgeister des Nordpols das Land unter ihre Kontrolle genommen.
    Sein Haus stand am Ortsrand. Es war ein Dorf, ein so gut wie namenloses Kaff, dessen Bewohner auch vergessen waren. Außerdem lag es abseits der Ost-West-Transitrouten. Nicht einmal Banditen zeigten Interesse an dieser Ortschaft.
    Seit unendlich langen Zeiten liefen hier die Dinge immer eintönig ab. Die Bewohner lebten vor sich hin, hofften, dass der See ihnen immer genügend Nahrung gab, bauten auch auf den Feldern im Sommer Gemüse an. Hielten sich Schweine und Kühe, und wer Geld verdienen wollte, der musste in die größeren Städte oder auch in das grausame Sibirien, wo die Winter nie richtig enden wollten.
    In den dortigen Bergwerken wurde noch Geld verdient. Einige Männer aus dem Dorf hatte es dorthin getrieben. Sie schickten auch unregelmäßig einige Rubel für die Familien rüber, aber das meiste behielten sie für sich.
    Trotzdem war es immer ein Ereignis, wenn einmal in der Woche die Post mit dem klapprigen Wasserflugzeug gebracht wurde. Dank einer warmen Strömung fror der See nie richtig zu, nur an den Ufern bildeten sich in besonders kalten Wintern lange Eisstreifen, die aber immer von den Wellen zerstört wurden.
    Manchmal trat der See auch über seine Ufer. Vor allen Dingen im Frühjahr. Da gab es dann die berüchtigten Überschwemmungen, so dass die Menschen nur die oberen Etagen ihrer Häuser bewohnen konnten. Auch damit hatten sie sich abgefunden. Keiner von ihnen hatte Lust, sein Haus abzureißen und es in sicherer Entfernung vom See wieder aufzubauen.
    Es gab hier auch keine Wege oder Straßen. Zumindest verdienten die Strecken den Namen nicht.
    Bei Tauwetter war das Gelände eine einzige Wüste aus Schlamm. Zu dieser Zeit ließ sich die Schneeschicht auf der gefrorenen Unterlage leidlich befahren.
    Kuzows Haus lag im

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