115 - Die Höhle des Chakra
geschlungen oder auch um den Kopf getragen werden konnte.
Der lackierte Punkt an ihrer Stirn leuchtete. Der kleine goldene Nasenring, der durch den rechten Nasenflügel gezogen war, gab ihrem Gesicht eine besondere exotische Note.
Sri Mahadev Singh half, das Gepäck zu verstauen. Er fragte nach Ungas Armverletzung. Der Cro Magnon zeigte ihm lächelnd die Narbe.
Sri Mahadev Singh staunte. „Wie haben Sie das geschafft?"
„Es gibt noch andere Kräfte als Padma", antwortete Unga.
Er gab den Hotelboys Trinkgeld, dann fuhren sie los, zunächst über die Straßenbrücke und durch Bombay und seine Vororte. Dann gelangten sie in ländliche Bezirke.
„Schade", sagte Don, der aus seiner Tasche gestiegen war und mit Unga vorn saß. „Ich hätte gern mehr von Bombay gesehen. Die Hängenden Gärten zum Beispiel, den Mombadevi-Tempel und den Victoria-Park."
„Mir reicht das, was ich gesehen und erlebt habe", sagte Unga. „Wir waren in einem Tempel, wenn auch in einem unterirdischen, und hatten mit einem echten indischen Dämon zu tun. Was willst du mehr, Don?"
Der Landrover rollte die Hauptstraße entlang, die mit einem Highway dritter Ordnung oder einer zweitklassigen Autobahn zu vergleichen war. Es herrschte wenig Verkehr. Autos waren außerhalb der Städte ein rarer Artikel in Indien. Kein Wunder bei einem Jahresdurchschnittseinkommen von knapp zweihundert Mark pro Kopf.
Der kühle Monsunwind wehte ständig.
Sri Mahadev trat aufs Gas, denn er. wollte die zweihundert Kilometer nach Ellora, dem früheren Elura oder Elapura, in möglichst kurzer Zeit zurücklegen.
Ellora war ein kleiner Ort in den Vorbergen der Westghats, deren Hängen von dichtem Dschungel überwuchert waren. Felder mit Reis, Jute, Mais, europäischem Getreide, Zuckerrohr und Tabak erstreckten sich weit um den Ort herum. Mango- und Papayabäume säumten die Straße. Zahlreiche Palmenarten wuchsen, und hin und wieder gab es an Bächen verfilzte Bambusdickichte, in denen Hibiskus und Gul-Mohur-Blüten leuchteten. Insekten summten, und Affen schnatterten in den Bäumen.
Jetzt im Oktober herrschte hier an der Westküste ein Klima wie an einem milden und sonnigen Spätsommertag in Mitteleuropa. In den Nächten war es kalt, wie Unga und Don schon gemerkt hatten.
Don blätterte in der Broschüre, die er im Hotel mitgenommen hatte. Der Landrover hatte die Hauptstraße längst verlassen und fuhr nun auf einer schmalen asphaltierten Straße. Er überholte einen Touristenbus und ein paar Pferdefuhrwerke.
An einer Stelle lagen zwei Kühe mitten auf der Straße und käuten wider. Sri Mahadev fuhr vorsichtig um sie herum. Kühe galten in Indien als heilig; ihnen durfte kein Haar gekrümmt werden; nicht einmal, wenn sie den Großstadtverkehr behinderten, durfte man sie gewaltsam verscheuchen. Das kam allerdings selten vor, denn die Kühe mochten den Trubel und Lärm der Großstadtzentren nicht. „Wußtest du, daß dreiundsiebzig Prozent der indischen Bevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft tätig sind?" fragte Don Unga. „Bei annähernd sechshundert Millionen Einwohnern ist das eine ziemliche Anzahl von Leuten. Hier steht auch, daß Indien der zweitgrößte Filmproduzent der Welt ist."
„Und seit 1974 hat es die Atombombe", sagte Unga. „Indien war schon im Altertum ein bevölkerungsreiches Land voller Wunder. Im vierten Jahrhundert nach Christus, zur Guptazeit, lebten hier schon hundert Millionen Menschen. Indien ist ein faszinierendes Land, bunt und verwirrend in seiner Vielfalt. In Indien kann man sich verlieren wie ein Wassertropfen im Ganges. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich zum erstenmal…"
Unga verstummte.
„Warst du früher schon einmal in Indien?" fragte Don. „In weit zurückliegender Vergangenheit vielleicht?"
Unga antwortete nicht. Er lenkte auf ein anderes Thema ab.
Auf den Feldern arbeiteten Männer, die nur den Dhoti trugen, den traditionellen Lendenschurz. Manche hatten den turbanartigen Pagri oder Pheta auf dem Kopf. Die Frauen hatten Arbeitssaris an. Viele trugen Kinder auf dem Rücken. Traktoren oder landwirtschaftliche Maschinen waren nicht zu sehen. Wasserbüffel zogen die Pflüge und Eggen. Alles andere wurde mit der Hand gemacht.
Die Tempelbauten von Kailasanath lagen hinter Hügeln und waren nicht zu sehen.
Der Landrover erreichte in der Mittagszeit das Dorf Ellora, das um die dreieinhalbtausend Einwohner haben mochte. Die meisten Menschen lebten in einstöckigen weißen Häusern mit ummauerten Höfen,
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