115 - Die Höhle des Chakra
sagte Unga. „Aber er verschwand und löste sich in Luft auf."
„Padma hat es so gewollt", sagte der Sikh.
Er hatte sich wieder in der Gewalt.
Im Gasthof „Ashoka" waren die Touristen gerade abgefüttert. Unga, Manjushri und Sri Mahadev nahmen in einer Nische Platz. Der Sikh hatte dem Wirt erzählt, Unga hätte ein besonderes Gelübde abgelegt und dürfte beim Essen nicht von Fremden beobachtet werden. Der Wirt zog deshalb den Vorhang vor der mit Bambuswänden abgeteilten Nische zu. Diese Lüge war erfunden worden, damit auch Don Chapman an der Tafel Platz nehmen konnte.
Manjushri bestellte eine rein vegetarische Mahlzeit. Sri Mahadev kannte dergleichen religiöse Einschränkungen nicht. Er entschied sich für reichlich Fleisch und empfahl auch Unga und Don, was sie essen sollten.
Selbst in diesem ländlichen Gasthof war das Angebot auf der Speisekarte sehr groß. Es gab Wild, Rebhuhn und Krickente, Schnepfen, Wachteln und Flußfische.
Unga entschied sich für ein scharfgewürztes Wildragout und zwei Rebhühner als Nachspeise. Don Chapman wollte versuchen, einer halben Schnepfe den Garaus zu machen.
Als das Essen gebracht wurde, stürzte sich Unga gleich auf sein Gericht. Das Essen war scharf gewürzt. Unga war ein guter Esser und machte der Küche des Gasthofs „Ashoka" alle Ehre. Nach den Rebhühnern verzehrte er noch ein paar Mangos und Papayas.
Manjushri betrachtete ihn mit ihrem unergründlichen Blick.
„Das essen von Fleisch und tierischen Produkten verunreinigt den Körper und schwächt den Geist", sagte sie. „Das solltest du bedenken, Unga."
„Ich esse seit zehntausend Jahren Fleisch und bin nicht geschwächt worden", antwortete Unga. „Da werde ich auch noch ein paar Jahre länger durchhalten."
Manjushri nahm das nicht als Scherz. „Du erinnerst dich an deine früheren Wiedergeburten? Du mußt ein merkwürdiges Karma haben, ein Kämpfer wie du."
Unga wollte ihr nicht erklären, daß er keineswegs Reinkarnationen hinter sich hatte. Er war zehntausend Jahre alt - annähernd zumindest. Magie hatte ihn aus der Steinzeit in die Gegenwart herübergebracht. Von gelegentlichen Wachperioden abgesehen, hatte Unga den allergrößten Teil dieser zehntausend Jahre in einem magischen Schlaf verbracht, so daß er nicht gealtert war.
Don Chapman hatte auf dem Tisch sitzend gegessen. Jetzt sprang er auf den Stuhl hinunter und machte es sich bequem.
„Ich weiß von keiner früheren Wiedergeburt", antwortete Unga knapp und wandte sich an Sri Mahadev. „Wann fahren wir zum Kailasanath-Tempel? Und wann treffe ich endlich Colonel Bixby? Ich habe nicht mehr viel Geduld, Sikh."
„Wir fahren noch heute nachmittag. Aber zuerst sollt ihr noch einiges über die Padma-Religion erfahren. Es gibt hier ein Besprechungszimmer, in dem wir ungestört sind."
Der Sikh klatschte in die Hände. Don Chapman verschwand knurrend in der Tragetasche, die den Aufdruck Air-India trug.
Der Wirt kam., Sri Mahadev lobte das Essen und zahlte. Das Besprechungszimmer war schon vorbereitet. Getränke standen bereit.
Unga, Manjushri und Sri Mahadev begaben sich zu dem nach hinten hinaus gelegenen Besprechungszimmer. Es war einfach eingerichtet, aber sehr sauber. Auf die eine Wand war eine Tanzszene mit farbenprächtig gekleideten Frauen und Vögeln gemalt.
Sri Mahadev Singh, der Sikh, setzte sich an die Schmalseite des langen Tisches.
„Die Padma-Religion hat ihren Ursprung nicht in Indien", erzählte er. „Sie kommt aus einem anderen Land. Im Laufe der Jahrhunderte hat sie sich im geheimen über ganz Asien ausgebreitet." „Warum hat man dann nie etwas von dieser Religion gehört?" fragte Don Chapman, der bei den anderen saß.
„Padma war eine Geheimreligion", erläuterte der Sikh. „Kein PadmaAnhänger bekannte sich zu seinem Glauben. Er durfte es nicht. Die Padma-Sadhus, die heiligen Wander- und Bettelmönche, verkündeten ihre Wahrheiten nur den Auserwählten, die sie für würdig befunden hatten. Die Padma- Gurus sagten nicht, in wessen Namen sie ihre Wunder vollbrachten. Aber es ist wahr, daß nahezu überall auf der Welt, wo Menschen Übernatürliches vollbringen, die Kraft des Padma im Spiel ist. Es gab auch entartete Padma-Anhänger, Magier und Wunderheiler, Menschen, die über sogenannte paraphysische Kräfte verfügten. In den letzten Jahren hat es sogar hin und wieder Fernsehauftritte solch Abtrünniger gegeben, die den Laien wie die Fachwelt in Erstaunen versetzten. Aber nicht einmal diese Apostaten gaben den
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