1152 - Prinzessin Blutleer
angestellt. Er war so zärtlich gewesen. Er hatte seine Zunge als Spielzeug benutzt und sich selbst auf den Höhepunkt vorbereitet.
Gunhilla war so etwas fremd gewesen, nie zuvor war sie auf eine derartige Art und Weise verführt worden, bis es dann zu einem Höhepunkt kam, der für ihre weitere Existenz einschneidend war.
Er hatte sie gebissen. Direkt in die linke Halsseite. Sie hatte den kurzen und heftigen Schmerz erlebt, dieses Zucken, danach die heiße Welle, und sie hatte erlebt, wie das Blut aus der Wunde sprudelte. Hinein in seinen weit geöffneten Mund.
Er hatte auf ihr gelegen. Noch jetzt war ihr sein Stöhnen und Schmatzen in Erinnerung geblieben, und er hatte ihr Blut bis auf den letzten Tropfen getrunken - glaubte sie zumindest. Später war sie dann abgetaucht oder eingeschlafen, und sie hatte nie zuvor einen derartig tiefen Schlaf erlebt, aus dem sie dann als eine andere Person erwacht war.
Als eine Frau, die jetzt eine Sucht kannte. Die Sucht nach Blut. Und die hatte sie auch gestillt. Zunächst bei Tieren, später dann bei den Menschen, doch da war es ihr nicht gelungen. Sie hatte sich schlecht angestellt, und sie war aufgefallen, und so machte ihre Familie Jagd auf sie.
Einer wusste gut Bescheid. Er war Priester in Afrika gewesen und hatte dort missioniert.
Als er auf Besuch in seiner Heimat war, wusste er sofort Bescheid. Den anderen hatte er geraten, sie einfach in das Verlies zu sperren oder zu pfählen. Keiner hatte es tun wollen.
Bevor es ihr gelungen war, einen Tropfen Menschenblut zu trinken, hatte man sie bereits in den Tiefen des Kellers eingesperrt, aus dem eine Flucht aus eigener Kraft nicht mehr möglich war.
Sie hatte noch gehört, dass man sie vergessen sollte. Für alle Zeiten vergessen. Aus den Annalen der Familie getilgt. Niemand sollte mehr Kontakt haben. Ihr Name wurde getilgt.
Und so hatte sie in all den langen Jahren nie die Chance gehabt, den dicken Mauern zu entkommen. Sie hatte vegetiert. Sie war verloren, aber nie tot. Sie vergaß vieles, auch den Mann, der für dieses Schicksal gesorgt hatte. Nicht einmal sein Name war ihr bekannt gewesen, doch der Keim starb nicht. Und sie verging ebenfalls nicht.
Dass sie trotz allem nicht vergessen war, wusste Gunhilla nicht. Man redete noch über sie.
Es bildeten sich Geschichten, Legenden, aber die Familie Glenmore schwieg zumeist dazu. Nur hin und wieder, wenn jemand mal zuviel getrunken hatte, berichtete er von dem Schandfleck, von einer mannstollen Tänzerin, die zu einem Monstrum degeneriert war und für immer und ewig hinter den dicken Mauern des Verlieses ihr Dasein fristete.
Sie starb nicht. Die Hoffnung blieb. Im Laufe der Zeit wurde ihr klar, dass sie etwas Besonderes war und es ihr gelingen konnte, als einer der wenigen Menschen dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.
Sie hatte Recht behalten.
Jemand war gekommen, der über sie Bescheid wusste. Die düstere Gestalt mit dem blutigen D auf der Stirn. Von ihr war sie aus dem Verlies befreit worden.
Endlich!
Nun hatte sie die Freiheit bekommen. Und die Erinnerung war wieder da. Sie war satt geworden. Das erste Blut und dazu noch das eines Menschen nach einer so langen Zeit. Es war der reine Wahnsinn. Es hatte ihr so gut getan. Etwas Wunderbares, das ihr die nötige Kraft gegeben hatte.
Aber wohin jetzt? Wohin nach der Flucht aus der tiefen Dunkelheit? Gunhilla hatte nicht lange nachdenken müssen. Auch wenn viel Zeit vergangen war, wollte sie genau die Orte besuchen, die ihr damals wichtig gewesen waren. Die Stätten ihrer Triumphe. Wo der Beifall ihr entgegengerauscht war, wo es nach Schminke roch, nach Theater, eben die Welt der Bühne.
Das Theater ging ihr über alles. Es war zu ihrer zweiten Heimat geworden. Auch die sehr lange Zeit hatte die Erinnerung nicht löschen können. Gunhilla wusste genau, wo sie hinzugehen hatte. Sie verlief sich auch nicht, obwohl sich in der Vergangenheit so viel verändert hatte. Zielsicher hatte sie den Weg gefunden und dabei immer wieder zum Himmel geschaut, um den Mond zu sehen, der ihrem Liebhaber damals Kraft gegeben hatte.
Manchmal sah sie den Mond. Er war sogar rund. Aber er war auch blass. Er besaß keine Kraft. Vor dem dunklen Hintergrund wirkte er wie ein schwacher Fleck, der aus dem Himmel herausgeschnitten worden war.
Wolken trieben von einer Seite zur anderen. Es war kalt in dieser Nacht, doch das spürte sie nicht. Sie war wieder schön geworden und sah so aus wie früher. Voll erblüht. Kräftiges Haar. Keine
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