1152 - Prinzessin Blutleer
die Kugel an deren Breitseite abgeprallt war. »Da muss der Teufel persönlich seine Finger im Spiel gehabt haben. Anders kann ich es mir nicht erklären. Jedenfalls hat sie gemerkt, dass die Luft für sie zu silberhaltig wurde, und ist geflohen.«
»Wohin?«
Bill schaute mich für drei Sekunden starr an, bevor er zu lachen begann. »Eine tolle Frage. Du glaubst nicht, wie oft ich sie mir schon selbst gestellt habe. Ich weiß nur, dass ich nichts weiß, so spricht der Philosoph. Keine Ahnung. Sie kann überall sein. Vielleicht auch im Wald. Aber hier ist sie nicht.«
»Es ist noch früh«, sagte ich. »Die Nacht hat praktisch erst begonnen.«
»Wem sagst du das?«
»Ich glaube nicht, dass sie einfach nur hier umherirrt, Bill. Sie wird einen Plan haben, auch nach so langer Zeit. Sie hat bestimmt nichts vergessen.«
»Wie meinst du das genau?«
»Ganz einfach. Ich kann mir denken, dass sie vielleicht die Orte aufsucht, die sie von früher her kennt. Da dringt auch bei einem Vampir die Erinnerung wieder hoch. Davon einmal abgesehen. Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass man sie erweckte? Wer steckt dahinter? Wer hat Interesse an ihrer magischen Wiedergeburt gehabt?«
»Sie hat in einem Verlies gehaust. Dort war sie eingesperrt worden. Bestimmt über mehr als hundert Jahre. Dann ist jemand gekommen, der sie erweckte.«
»Wer war es und wie hatte er es geschafft?«
Bills Gesicht zeigte Bedauern. »Keine Ahnung, wer es getan hat, John, aber ich weiß, wie es passieren konnte, weil ich mich in diesem Verlies umgeschaut habe. Man hat ihr eine Schale mit frischem Blut gebracht. Die hat sie dann leergetrunken und auch leergeleckt. Ja, so ist das gewesen. Da hat jemand genau gewusst, was er tat. Frag mich aber nicht, wer es gewesen ist.«
Ich ging gedankenverloren im Kreis. Dabei überlegte ich angestrengt, und fragte Bill mit leiser Stimme: »Ist dir bekannt, wer aus dem Clan der Glenmore noch lebt?«
»Ja, einer. Er heißt Jo Glenmore, ist recht alt. Schon über Neunzig.«
»Gut.«
»Glaubst du, dass er es gewesen ist?«
»Kaum, aber er könnte uns eventuell einen Hinweis geben. Hast du die Adresse, Bill?«
»Nein.«
»Hatte Morris sie?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe ihn zumindest nicht danach gefragt. Es kann schon sein, dass er sie wusste, aber jetzt ist es zu spät.«
»Er kann sie notiert haben.«
»Dann müssten wir bei ihm nachschauen.«
»Das werden wir auch. Vielleicht haben wir Glück.«
Es machte keinem von uns Spaß, den Toten zu durchsuchen, aber es blieb uns nichts anderes übrig.
Wir förderten einiges aus den Taschen hervor. Schlüssel und Taschentuch konnten wir vergessen, aber nicht das schmale elektronische Notebook, das Bill fand und hochhielt.
»Bingo.«
»Okay, lass uns nachschauen.«
Bill beschäftigte sich damit. Die Batterie war nicht leer, und schon erschienen auf dem Display erste Namen. Wir standen dicht beisammen und lasen sie gemeinsam. Morris war ein sehr sorgfältig arbeitender Mensch gewesen. Er hatte die Adressen in alphabetischer Reihenfolge geordnet, und der Name Glenmore war einmal vertreten.
»Da - Jo Glenmore.«
Ich schlug Bill auf die Schulter. »Wunderbar. Sogar mit einer Telefonnummer.«
»Wer ruft an?«
»Das mache ich.« Das Handy hielt ich bereits in der Hand. Ich hoffte, dass der alte Jo Glenmore noch nicht schlafen gegangen war. Wenn, dann musste er eben erwachen.
Nicht ihn bekam ich zu hören, sondern eine Frau, die sich nicht mit ihrem Namen meldete. Es war der Name eines Heims, den man mir nannte.
Ich entschuldigte mich für die Störung und erkundigte mich vorsichtig nach einem Jo Glenmore.
»Ja, der lebt bei uns.«
»Das ist gut. Kann ich mit ihm reden?«
Die Freundlichkeit verschwand aus der Stimme. »Was wollen Sie denn von ihm?«
»Es sind Fragen, die sich um seine Familie drehen.«
»Und wer möchte das wissen?«
»John Sinclair. Ich bin Polizist. Scotland Yard, und ich habe es wirklich eilig.«
Ich hatte die Frau nicht überzeugt. »Sorry, aber ich weiß nicht, ob ich Ihnen das glauben soll…«
»Bitte, Sie können auch zurückrufen unter…«
»Wie war Ihr Name noch?«
»John Sinclair.«
»Könnte ich den schon mal gehört oder gelesen haben?«
»Das ist möglich.«
»Gut, ich vertraue Ihnen, auch wenn es gegen die Regeln geht. Ich werde Sie mit dem alten Jo verbinden.«
»Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen.« Ich drehte mich Bill zu. »War eine schwere Geburt.«
»Habe ich mitbekommen.«
Es verging noch eine
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