1161 - Totentanz in M 82
überreizten Phantasie.
Aber es ließ sich nicht übersehen, daß auch die Phylliden das fremde Geschöpf wahrgenommen hatten. Sie hielten an, und der eiserne Ring, der meine Brust umschloß, lockerte sich ein wenig.
Staunend musterte ich die helle, mehr als drei Meter hohe Erscheinung. Finstere Augenhöhlen starrten drohend, wie ich mir einbildete, auf uns herab. Der Mund öffnete sich. Der Fremde begann zu sprechen. Aber die Laute, die er gebrauchte, gehörten der Sprache der Phylliden an. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte.
*
Eine Minute verstrich. Die Blattwesen hörten schweigend, was die gespenstische Erscheinung ihnen zu sagen hatte. Die Umschnürung lockerte sich. Die Blätter fielen von mir ab. Sie sanken zu Boden und schnellten sich davon. Binnen weniger Sekunden waren sie im Dschungeldickicht verschwunden. Auch Nachor war frei. Es gab keinen Zweifel daran, daß wir die unerwartete Verbesserung unserer Lage dem geisterhaften Fremdwesen verdankten. Es hatte den Phylliden befohlen, uns freizugeben.
Wie aber kam Harman, der Bote, dazu, auf unserer Seite, auf der Seite der Feinde der Superintelligenz, ins Geschehen einzugreifen? Noch vor einem oder anderthalb Tagen hätte mich diese Frage in heillose Verwirrung gestürzt. Aber seit der letzten Unterhaltung mit Simsin, dem Anximen, wußte ich Bescheid.
„Welcher Mangel an Umsicht!" dröhnte es aus der finsteren Sprechöffnung. „Um ein Haar hätten die Blattwesen euch abgeschleppt. Was wäre dann aus unserem Plan geworden?"
Ich sah zu Nachor hinüber. Seine Miene wirkte entspannt; keine Spur von Staunen war darin zu lesen. Der Armadaprinz kannte das Geheimnis des Boten ebenso wie ich.
„Mangel an Umsicht ist richtig", antwortete ich. „Aber wir sind nicht allein daran schuld.
Hättest du uns besser erläutert, was wir hier draußen zu tun haben, dann hätten wir uns auf die Umgebung konzentrieren können und wären nicht von den Blattwesen überrumpelt worden."
Eine kurze Pause entstand. Dann sagte der Gespensterpopanz: „Gut. Ihr wißt, wer ich bin."
„Du hast uns ausführlich genug von deiner Doppelexistenz erzählt", spottete Nachor.
„Ich wollte, du wärest in bezug auf die wahrhaft wichtigen Dinge ebenso wenig zurückhaltend gewesen."
„Du bist in Seth-Apophis' Auftrag unterwegs, nicht wahr?" fragte ich. „Wie kommt es, daß du uns ungehindert helfen kannst? Beobachtet sie dich nicht?"
„Nicht im Augenblick", antwortete die Stimme, über deren vertrauten Klang ich mir nun nicht mehr den Kopf zu zerbrechen brauchte. „Sie läßt mir eine gewisse Selbständigkeit.
Ich wurde ausgesandt, nach euch zu suchen. Euer Verschwinden wurde vor kurzem bemerkt..."
„Wie geht es unserem Freund?" fiel ich ihm ins Wort.
„Er lebt, mehr weiß ich nicht", antwortete Harman alias Simsin. „Die Mächtige läßt ihn pflegen, damit sie ihn um so nachhaltiger für seine Untreue bestrafen kann. Ich bitte euch, unterbrecht mich nicht mehr. Ich habe euch Wichtiges mitzuteilen.
Zwei Dinge werden in Kürze geschehen. Erstens wird Seth-Apophis die Aufregung in den Bewußtseinen der Blattwesen wahrnehmen, sich mit ihnen in Verbindung setzen und erfahren, was hier geschehen ist. Zweitens wird sie nach mir rufen, und wenn sich herausstellt, daß die Sache sich wirklich so verhält, wie sie von den Blattgeschöpfen hörte, wird Harman, der Bote, augenblicklich ausgelöscht. Auf Simsin, von dem die Mächtige nichts ahnt, hat dies keinen Einfluß. Aber eines ist zu bedenken: Als Harman habe ich, da Seth-Apophis mich per Jetstrahl transportiert, unbegrenzten Aktionsradius.
Als Simsin bin ich an die Reichweite des Computers gebunden, und die geht nur bis zu einem Umkreis von wenigen Kilometern um den Goldenen Palast. Sobald Harman ausgelöscht ist, seid ihr auf euch alleine gestellt - bis zu dem Augenblick, da ihr wieder zum Palast zurückkehrt Drum hört gut zu, was ich euch zu sagen habe.
Kehrt dorthin zurück, wo die Blattwesen euch gefangengenommen haben. Geht weiter in der Richtung, der ihr bisher folgtet. Ihr werdet ein Fahrzeug finden. Macht euch mit der Handhabung vertraut. Fliegt zu dem großen Felsen. Die Arbeit eurer Verbündeten macht gute Fortschritte. Bald sind wir soweit, daß wir den Verkünder für unsere Zwecke einsetzen können. Aber vorher brauchen wir ein Ablenkungsmanöver, das sich mit einem wichtigen Zweck verbinden läßt. Der Feldschirm, der den Felsen umgibt, wird zusammenbrechen. Der Fels erhebt sich aus einer weiten
Weitere Kostenlose Bücher