1165 - Von Angst gepeitscht
leicht gebogene Nase, ein schmaler Mund mit etwas bläulich schimmernden Lippen und einem markanten Kinn.
Der Fremde blieb dicht vor Leroi stehen.
Es wurde kein Wort gewechselt. Beide schauten sich nur an, und beiden war klar, dass sie eigentlich keine Feinde waren, sondern zur gleichen Art gehörten.
Nur musste Leroi zugeben, dass dieser ganz in Schwarz gekleidete Vampir wesentlich stärker war als er. Er hatte ihn auch gestoppt. Er hatte ihm den fremden Schlag verpasst. Er hatte für seine Schwäche gesorgt.
Der andere grinste. Seine Augen leuchteten düster auf. Der kalte Blick erwischte Leroi bis tief ins Mark und ließ ihn zittern.
Als Vampir hatte er nie Angst verspürt. Er hatte immer den anderen die Angst gebracht. In dieser Lage war alles anders. Er merkte den Strom, der von der fremden Gestalt ausging und auch ihn erwischte. Diese Kälte, dieses absolute Weglassen des Gefühls, zugleich gepaart mit einer übergroßen Macht.
»Wer bist du?« flüsterte Beau Leroi.
Der andere lächelte jetzt breiter. Sehr bedächtig zog er die Oberlippe zurück. Einen Moment später schimmerten seine beiden spitzen, blassgelben Zähne auf. Sie schauten aus dem Oberkiefer hervor wie helle Lanzen. Sie wiesen eine leichte Biegung nach innen auf, und Leroi, der keine Antwort bekam, fragte nur: »Bruder?«
Ein kaltes Lachen verließ den Mund. »Ja, irgendwo bin ich auch dein Bruder. Aber ich bin zugleich auch dein Herr und Meister. Ich bin der König der Vampire. Ich bin Will Mallmann. Oder besser gesagt: Ich bin Dracula II!«
Leroi hatte alles gehört. Jedes Wort. Er konnte nachdenken, aber er war blockiert. Herr und Meister, das hatte er begriffen. Aber er wollte nicht zustimmen, weil er sich selbst als Herr und Meister sah.
»Du glaubst mir nicht?«
Leroi saß noch immer. Er hob seine Schultern an. »Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung. Ich bin…«
»Du bist in meinem Bund. Ich herrsche über die Vampirwelt. Ich herrsche über die Vampire. Ich habe die Gesetze gemacht, die von dir schon immer gebrochen wurden.«
»Gesetze? Es gibt nur das Gesetz des Blutes.«
»Davon rede ich«, sagte Dracula II. »Das Gesetz des Blutes hat andere Regeln.«
»Welche denn?«
»Du musst, wie alle anderen Brüder und Schwestern auch, darauf aus sein, das Gesetz einzuhalten. Wir sind auch auf der Welt, um uns zu vermehren. Hast du verstanden? Wir werden uns vermehren, aber wir werden uns nicht selbst vernichten, was du getan hast. Du hast es immer und immer wieder getan. Du hast die Brüder und Schwestern zerstückelt, und das darf nicht sein. Das ist gegen die Gesetze. Hast du das begriffen? Ist dir das endlich klar? Ich will dich nicht vernichten, aber ich will auch, dass du dich unterordnest. Du kannst dein Blut trinken, aber du wirst deinen Egoismus sein lassen!«
Beau Leroi überlegte. Er hatte sich einmal von Dracula II demütigen lassen. Wäre das nicht passiert, hätte er hier nicht gesessen wie ein Verlierer. Er kannte das Blut, die Gier und auch den Hass. Aber er kannte keine anderen Gesetze, und er würde sie auch von einem Vampir nicht annehmen. Er war immer ein Einzelgänger gewesen, und würde es auch bleiben.
Deshalb schüttelte er den Kopf. Zugleich sammelte er Kraft, um auf die Beine zu kommen. Die Gefahr spürte er deutlich. Ebenso die Macht der anderen Gestalt. Doch niemals würde er ihr nachgeben.
»Ich gehe meinen Weg! Ich werde ihn immer gehen. Daran kannst auch du mich nicht hindern.«
»Ich will dich nicht töten…«
»Das schaffst du nicht! Du hast mich einmal überraschen können, ein zweites Mal nicht. Ich werde meine Kraft behalten. Ich werde weiterhin kämpfen, und ich werde gewinnen. Ich werde mir das Blut holen, das ich brauche.« Schwungvoll stemmte er sich hoch und stand plötzlich Dracula II Auge in Auge gegenüber.
Er sah auch das glühende D auf der Stirn. Es war ein Zeichen der Macht, doch er ließ sich davon nicht irritieren. Noch nie hatte er vor einer anderen Gestalt gekuscht.
»Hast du mich verstanden?«
»Ja, es war nicht zu überhören.«
»Dann wirst du auch deine Konsequenzen ziehen müssen.«
»Wie sehen die aus?« fragte Will Mallmann.
»Ich werde auch weiterhin tun und lassen, was ich will. Ich habe schon zu lange gelebt, um mir von dir Vorschriften machen zu lassen. Ich bin immer meinen Weg gegangen, und so wird es bleiben.«
Leroi grinste Mallmann an und zeigte seine Zähne. Sie schimmerten ebenso wie die des anderen Vampirs.
Es sah nach einem Kampf aus, und es
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