1167 - Die Tochter des Dämons
Jemand kommt.«
Sie hatte so ernst gesprochen, dass ich ihr glaubte. »Können Sie sagen, wer es ist?«
»Nein, leider nicht. Das ist alles noch so fremd. Aber ich habe das Gefühl, sehen zu können, verstehen Sie? Mit anderen Augen und zugleich mit meinen. Das Erbe steckt in mir. Es… es… hat sich ausgebreitet. Ich habe es übernommen. Ich weiß, dass jemand kommt, und ich weiß auch, dass ich zu ihm muss.«
»Kennen Sie ihn?«, drängte ich noch einmal.
»Nie und nimmer. Und trotzdem fürchte ich mich nicht. Irgendwo ist er mir bekannt, obwohl ich ihn noch nie zuvor gesehen habe. Aber ich kann ihn spüren.« Sie blickte mir ins Gesicht, und ich musste wieder in die Augen schauen. In ihnen waren die Pupillen jetzt restlos verschwunden. Es gab nur die eine Fläche. Ich wusste, dass das Erbe des Vaters in Alina arbeitete.
»Fühlen Sie nur? Oder sehen Sie auch?«
»Beides, John. Wobei das Fühlen im Moment noch stärker ist als das Sehen. Aber es kann nicht mehr lange dauern, das weiß ich genau. Seien Sie mir nicht böse, John, ich kann einfach nicht länger bei Ihnen bleiben. Die andere Seite hat sich mir offenbart. Jetzt habe ich das Gefühl, wie mein Vater zu sein. Ich muss da wohl weitermachen, wo er aufgehört hat.« Sie redete jetzt schneller, als hätte sie sonst keine Chance mehr, mir alles zu sagen. »Es ist wirklich mehr als ungewöhnlich, John. Ich spüre einfach die Verpflichtung, weiterzumachen. Das muss so sein. Ich mache da weiter, wo mein Vater aufgehört hat. Er ist viel zu früh verstorben und wurde mitten aus seinem Leben herausgerissen. Ich weiß nicht, wer meine Feinde genau sind, aber mir ist schon bekannt, dass es sie gibt.«
Es war nicht einfach, dieser Logik zu folgen. Ich selbst war nicht verändert, Alina schon, und sie schaute wieder auf ihre rechte Handfläche, wo das Kreuz seinen Abdruck hinterlassen hatte.
Das war für mich ebenfalls ein Phänomen. Alina Wade war durch meinen Talisman gezeichnet worden, aber sie war nicht vergangen wie ein Dämon oder ein anderes Geschöpf der Finsternis.
»Ich gehe jetzt!«, erklärte sie.
»Wohin?«
»Zu ihm!« Sie blickte in die Dunkelheit über der Rasenfläche, und auch ich folgte ihrem Blick.
Dabei war ich ebenso wenig in der Lage etwas zu sehen wie Alina. Trotzdem glaubte ich ihr, dass es dort etwas gab, das sich noch verborgen hielt.
»Sie können nicht mit, John«, flüsterte sie. »Die Hunde werden Sie nicht lassen. Es kann sein, dass sich unsere Wege jetzt trennen. Ich muss der neuen Aufgabe nachkommen und kann das Erbe meines Vaters nicht einfach ignorieren.«
Sie hatte genug geredet. Alina schenkte mir einen letzten Blick, dann drehte sie sich zur Seite und ging den ersten Schritt vor. Ich schaute die Hunde an.
Sie taten nichts. Sie hockten um uns herum. Sie waren brav. Dieses Verhalten der Hunde hatte ich noch nie erlebt. Die Tiere schienen unter Alinas Befehl zu stehen, und sie bewegte sich zwischen ihnen durch, als hätte sie nie etwas anderes getan. Noch einmal warf sie einen Blick über die Schulter zurück. »Sie werden dir nichts tun, John, aber bleibe ruhig. Ich muss ihn sehen…«
Auch ohne ihre Warnung hätte ich nichts getan. Ich schaute auf ihren Rücken, als sie in die Dunkelheit hineinging. Sie schritt dabei normal aus und zeigte keine Unsicherheit. Noch sah es aus, als wollte sie ins Leere gehen, um irgendwann von der Dunkelheit verschluckt zu werden, doch gerade in dieser Dunkelheit entdeckte ich die zweite Bewegung.
Es musste die Person sein, von der Alina gesprochen hatte.
Ob es ein Mann oder eine Frau war, konnte ich nicht erkennen. Sie war noch zu weit weg, und es war auch zu dunkel. Aber dieser Schatten hatte ein Ziel, und er wich auch nicht von der Ziellinie ab.
Er und Alina schauten sich an.
Vom Boden her drang das leise und gefährliche Knurren an meine Ohren. Die Hunde wollten beweisen, dass sie noch vorhanden waren und mich auch weiterhin unter Kontrolle hielten.
Sie hatten mir bisher nichts getan und würden mir auch in Zukunft nichts tun.
So konnte ich sie aus dem Blick lassen und Alinas Weg verfolgen, die plötzlich nicht mehr weiterging und auf den Mann wartete.
Ja, es war ein Mann. Er war ungewöhnlich gekleidet. Er hatte eine dunkle Kutte übergestreift und eine Kapuze hochgezogen, sodass sich in deren Ausschnitt nur das Gesicht befand, das ich leider nicht sehen konnte.
Auf ein Zucken meines rechten Beines hin reagierten die Hunde wieder. Ein scharfes Hecheln wehte an mir hoch. In
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