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1173 - Computerwelten

Titel: 1173 - Computerwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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unheimliche, künstliche Gestalt ohne jegliche Anatomie. Die Schwärze unter der Kapuzenöffnung verstärkte das bedrohliche Fluidum noch, das dem Ordensmann innewohnte.
    Ernst Ellert war bemüht, sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Es fiel ihm nicht leicht, sein Unbehagen zu kontrollieren. Eigentlich hätte er froh sein müssen, daß sich in seiner Lage überhaupt jemand um ihn kümmerte; statt dessen empfand er die Anwesenheit des Fremden wie eine erdrückende Umklammerung.
    „Was willst du von mir?" brachte er zögernd hervor. „Du bist nicht hier, um dir Bilder vom Urknall anzuschauen."
    Der Ordensmann senkte den Kopf so langsam, als müßte er sich dazu zwingen, den Blick von der Darstellung abzuwenden. Die Schwärze unter der Kapuze schien Ellert entgegenzuspringen.
    „Wozu sollte ich sonst hier sein?" fragte Stein Nachtlicht zurück. „Wegen eines Gefangenen würde ich nicht herkommen."
    Obwohl er weiterhin flüsterte, gelang es ihm, seinen Worten eine unnatürliche Bestimmtheit zu verleihen. Ellert wußte nicht, ob er ihm glauben sollte. Er kam sich vor wie in einem bösen Traum.
    „Was hast du davon, wenn du dir dieses Bild betrachtest? Du könntest dir eine Reproduktion anfertigen und müßtest nicht extra den Schacht hinabsteigen. Hast du keine Angst, daß ich dich angreife und dich zwinge, mich nach oben zu bringen?"
    Ein schauerliches Lachen brach sich an der Kristallwand.
    „Allein deine Frage beweist, daß ich mich vor dir nicht fürchten muß. Du bist viel zu schwach, Ernst Ellert. Außerdem könntest du mir nicht einmal dann etwas anhaben, wenn du über eine Waffe verfügtest. Ein Ordensmann ist nicht aus Fleisch und Blut."
    In Ellerts Kehle schien sich ein Kloß zu bilden. Er schluckte schwer.
    „Was bist du?" krächzte er.
    „Ein hochspezialisiertes Virenkonglomerat", antwortete Stein Nachtlicht bereitwillig. „Ich und alle übrigen Ordensmänner wurden eigens dafür geschaffen, um die Vernetzung der Menschheit mit dem Virenimperium zu kontrollieren."
    Die Auskunft versetzte dem ehemaligen Teletemporarier einen Schock. Eine ganze Weile hatte er das entsetzliche Schicksal seiner Freunde aus den Gedanken verdrängt, jetzt spülte es wie eine ätzende Welle in seinen Geist zurück. Er mußte an sich halten, um nicht blind auf den Ordensmann loszugehen.
    „Handlanger Vishnas, das seid ihr!" schrie er. „Kretins, die sich willig zu einem abscheulichen Verbrechen mißbrauchen lassen!"
    „Du kannst mich damit nicht treffen", murmelte Stein Nachtlicht ruhig. „Ich habe mein eigenes Selbstverständnis. Jeder von uns steuert die Bewohner von zwei- bis zehntausend virotronischen Computerschaltkreisen. Wir vermitteln den Menschen auf den Virochips Lenkimpulse, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können - und wir tun es sorgfältig, präzise und ohne jemandem zu schaden. Es gibt nichts, was wir uns vorzuwerfen hätten.
    Du selbst müßtest dich deiner schämen, weil du dich der Vernetzung entzogen hast."
    Ernst Ellert stöhnte auf, aber er sagte nichts. Dieses Wesen und ihn trennten Welten. Es hatte keinen Sinn, dem Ordensmann Vorhaltungen zu machen. Er, Ellert, war das natürlich gezeugte Kind zweier Menschen - Stein Nachtlicht war ein Etwas. Ernst Ellert lebte. Stein Nachtlicht funktionierte.
    „Die Vernetzung bereitet mir keinerlei Schwierigkeiten", fuhr der Fremde fort. „Deshalb kann ich es mir leisten, die mir anvertrauten Schaltkreise eine Weile sich selbst zu überlassen, um mir das Schauspiel des Urknalls anzusehen. Du täuschst dich, wenn du glaubst, dies sei nur ein Bild. Es ist der Beginn des Universums selbst - eingefroren in der Zeit und optisch sichtbar gemacht für die Gegenwart."
    Ellert kämpfte gegen seine Wut an, von der er wußte, daß sie ihm nichts einbringen würde. Er fühlte sich ohnmächtig. Von dem, was der Fremde sagte, begriff er kaum etwas.
    Er wunderte sich lediglich, warum Stein Nachtlicht so mitteilsam war. Brauchte er ein Ventil für seine Begeisterung, einen Gesprächspartner?
    „Wie meinst du das?" fragte Ellert mechanisch, nur um überhaupt etwas von sich zu geben.
    „Du befindest dich im Schacht eines Zeitturms", erläuterte Stein Nachtlicht prompt.
    „Dabei handelt es sich um vierdimensionale, datensammelnde Sonden, die weit in die Vergangenheit reichen. Dem Virenimperium wird damit der Zugriff zu früheren Epochen ermöglicht - und wir Ordensmänner können, wenn wir den Schacht hinabsteigen, Teile dieser Epochen sehen. Sie erscheinen wie Visionen

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