1173 - Computerwelten
wie Eis, und im Innern bildeten kristalline Gänge und Räume in vielfältigen Verschachtelungen ein unübersichtliches Labyrinth, das in allen Farbtönen des Spektrums erstrahlte. Überall flatterten zerbrechlich wirkende, blattgroße Gebilde lautlos durch die Korridore wie monströse Schatten aus einer anderen Welt.
Auch sie hatten eine Bezeichnung. Vishna sprach und dachte von ihnen als Meta-Agenten. Natürlich bestanden auch sie aus Viren, aber sie verfügten darüber hinaus über die Fähigkeit der Atomprogrammierung. Letztlich war es ihnen zu verdanken, in welcher Weise sich Terrania verändert hatte. Im Gefüge des Virenimperiums und beim Vernetzungsprozeß stellten sie ein weiteres wichtiges Element dar.
Sie tummelten sich selbst im Netzsaal des Virenhorsts. Geschickt bewegten sie sich durch die verschiedenfarbigen dünnen Fäden, die den gut 100 Meter durchmessenden Raum wie ein fein gewobenes Spinnennetz durchzogen. Vishna störte sich nicht daran.
Für sie, die Kosmokratin, gab es auf dieser verwandelten Welt nichts, was sie mit Schrecken oder Unruhe erfüllt hätte. Gelassen bahnte sie sich ihren Weg durch die Virenfäden. Die Meta-Agenten stoben um sie herum und begleiteten sie. Als ihr eines der filigranen Gebilde zu nahe kam, wischte sie es mit einer sanften Bewegung zur Seite.
Sie hielt auf den Virenthron zu, der im Zentrum des Netzsaals schwebte, und ließ sich darauf nieder. Es war eine sesselähnliche Konstruktion, die ihr in ihrer jetzigen Inkarnationsform viel körperliche Bequemlichkeit bot. Von hier aus konnte sie über die spezialisierten Virenkolonien die Vernetzung beobachten und kontrollieren und bei Bedarf auch steuernd eingreifen.
Die Daten, die sie erhielt, gaben jedoch keinen Anlaß zur Besorgnis. Der Prozeß vollzog sich wie geplant.
Störfaktoren waren bislang nicht aufgetreten. Die Sturmreiter auf den Virochips erfüllten ihre Aufgabe reibungslos; ein deutliches Zeichen, daß die Mitglieder des Virus-Ordens in den Zeittürmen ihre Lenkimpulse genau dosiert und präzise an die miniaturisierten Menschen übermittelten.
Vishna konnte zufrieden sein.
Das eigentliche Motiv für ihr Handeln war immer gewesen, die Menschheit als Verbündete der verhaßten Kosmokraten und der positiven Superintelligenz ES zu demütigen. Dieses Ziel hatte sie längst erreicht.
Die Nützlichkeit der einzelnen Individuen als Informationsträger, als Regulativ in den vielen Milliarden Computerschaltkreisen war ein willkommener zusätzlicher Effekt. Er würde die Macht- und Wissensfülle des Virenimperiums noch erheblich erweitern.
Es konnte nicht mehr lange dauern, bis auch dieser Vorgang abgeschlossen war. Erde und Mond näherten sich unaufhaltsam dem Ende des Grauen Korridors. Sobald sie den Austrittspunkt und damit den Standort des Virenimperiums erreichten, war Vishnas Triumph perfekt.
Hier, im Netzsaal des Virenhorsts, würden ihr Domizil und ihre Befehlszentrale sein. Von hier aus würde sie das Universum kontrollieren und ihren Einfluß immer weiter ausdehnen - bis sie schließlich in der Lage war, auf die andere Seite der Materiequellen zu gelangen und ihre Rache an den Kosmokraten zu vollziehen ...
Einen Moment überlegte sie, ob sie die Möglichkeiten des Riesencomputers schon jetzt nutzen sollte, indem sie sich einige Voraussagen über die nähere Zukunft geben ließ.
Sogleich verwarf sie den Gedanken jedoch wieder. In dieser Hinsicht waren die Fähigkeiten des Virenimperiums doch sehr begrenzt. Aus den Gegebenheiten des Heute ein denkbares Morgen zu berechnen, blieb selbst ihm in letzter Konsequenz verwehrt. Zu vielfältig waren die unvorhersehbaren Einflüsse, die die Zukunft bestimmten. Was es schließlich als Information ausgab, würde immer nur eine von zahllosen Ereignisketten sein.
Nein, dachte sie, ein Hinweis auf die Zukunft war in der jetzigen Situation auch nicht mehr nötig. Es gab nichts, was die Dinge noch aufhalten konnte.
Vishna konzentrierte sich und schaltete sich psionisch in die Steuerung des Vernetzungsprozesses ein. Ein Teil ihres Geistes eilte umher zwischen Meta-Agenten, Ordensmännern, Zeittürmen und Virochips. Nirgendwo spürte sie eine Strömung, eine Unregelmäßigkeit oder gar einen Fehler. Ihre mentale Kraft verteilte sich auf die Bestandteile des dichten Nebels aus Viren, der draußen über dem Land wogte und die verschiedenen Funktionselemente koordinierte.
Doch die abtrünnige Kosmokratin erfreute sich nur kurze Zeit an dem harmonischen Ablauf aller
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