1179 - Der Killerzwerg
fragte, ob nicht auch die Hölle ein Stück Natur war und einfach dazugehörte. Die Hölle ebenso wie der Teufel. Dann hatte der womöglich für sein Aussehen gesorgt.
Wie Lippy es drehte und wendete, er kam zu keinem Ergebnis. Mit zitternder Hand zog er die Schublade des Tisches aus. Eine kleine Pistole aus blitzendem Chrom geriet in sein Blickfeld. Die Waffe sah aus wie ein Spielzeug, was sie nicht war, denn sie war geladen. Eine Kugel steckte im Magazin. Wenn er sich die Mündung in den Mund steckte und abdrückte, dann war es für ihn vorbei. Und das würde er tun, wenn ihn der Spiegel auch weiterhin im Stich ließ.
Einen Versuch hatte er noch. Aller guten Dinge waren drei. Und so schob Lippy die Lade wieder zu und konzentrierte sich auf den Spiegel. Von oben herab schaute er auf die Fläche, in der er sein hässliches Gesicht sah. Andere liefen bei seinem Anblick weg. Eltern brachten ihre Kinder in Sicherheit, aber Lippy hatte sich an sich selbst gewöhnt, obwohl er sich nicht mochte.
Wieder sammelte er sich. Zum dritten und auch zum letzten Mal. Er hatte den Mund weit geöffnet und den Kopf zurückgelegt. Die Augen hielt er halb geschlossen, konzentrierte sich, um danach den Kopf zu senken und die Worte zu sprechen.
Mit der linken Hand nahm er den Spiegel dabei hoch und sprach die Sätze flüsternd, fast beschwörend.
»Spiegel, Spiegel in der Hand, wer ist der Hässlichste im ganzen Land?« Er wiederholte die Frage schon gebetsmühlenartig. Er wollte die Antwort haben. Lippy wusste, dass man sie ihm geben würde. Dass in diesem Spiegel mehr steckte als in allem anderen, was er bisher besessen hatte - und er erreichte einen ersten Erfolg.
Sehr deutlich spürte er das Kribbeln, das zuerst seine linke Hand erwischte und dann durch den Arm bis hoch in seine Schulter rann. Es war bereits ein Zeichen, dass der Spiegel oder die andere Seite ihn nicht im Stich lassen würde.
Er sprach nicht mehr weiter, sondern konzentrierte sich auf sein hässliches Gesicht in der Fläche.
Es sah aus wie in den Glanz hineingemalt. Im Deckenlicht waren alle Einzelheiten zu erkennen, und Lippy wartete voller Sehnsucht, dass der Spiegel endlich seine Wahrheit ans Licht brachte.
Etwas passierte. Etwas war anders als bei all den vorherigen Versuchen.
Lippy hielt den Atem an. Es wühlte in seinem Innern. Er hörte sich keuchend atmen. Die Spiegelfläche beschlug, doch das lag nicht an seinem Atem. Es hatte eine andere Ursache, und mit ihm hatte das überhaupt nichts zu tun.
Sein Gesicht war plötzlich von einer weichen Aura umgeben. Die hatten Konturen gab es nicht mehr. Sie begannen sich aufzulösen, was Lippy erschreckte. Er fürchtete plötzlich, dass sich sein Gesicht ebenfalls auflösen würde. Mit der rechten Hand fuhr er darüber hinweg und fand alles an seinem Platz. Weder der Mund noch die Nase waren verschwunden. Auch die Ohren waren vorhanden, aber sein Gesicht im Spiegel war nicht mehr da.
Lippy schluckte.
Ein grauer Fleck, das war alles.
Sein Herz klopfte stärker. Er war wahnsinnig aufgeregt. Schweiß bedeckte seine Handfläche. Der graue Fleck zitterte in sich selbst. Zugleich strahlte er etwas ab, das Lippy nicht erfasste. Es war tatsächlich eine andere Macht, und er spürte, wie eine Gänsehaut seinen gesamten Körper umfasste.
Sein Gesicht hatte sich völlig aufgelöst. Keine Nase, keine Augen, kein Mund. Es gab die hässliche Fratze nicht mehr, aber auch der graue Fleck verschwand.
Sein Gesicht kehrte nicht mehr zurück, obwohl er noch immer in den Spiegel hineinschaute.
Plötzlich starrte ihm ein anderes entgegen.
Nein, auch das war kein Gesicht. Es war zumindest nicht der richtige Begriff. Was er sah, war einfach zu anders, zu bösartig, und es war auch kein Scherz.
Lippy wusste, dass er erhört worden war. Die Fratze, die er im Spiegel sah, gehörte dem Teufel…
***
Das Wissen traf ihn wie ein geistiger Faustschlag. Er zuckte aus seiner geduckten Haltung in die Höhe. Sein Blick verlor den Spiegel, und nach einigen Sekunden erst war er wieder in der Verfassung, den Kopf zu senken.
Ja, die Fratze war noch da. Der Teufel blieb bei ihm. Er hatte sich im Spiegel abgemalt, und er hatte dabei ein Aussehen angenommen, damit er auch erkannte wurde und sich der Mensch sofort auf dem richtigen Weg befand.
Das Gesicht besaß eine dreieckige Form. Eine breite, knochige Stirn. Böse Augen, in denen ein rotes und auch bläuliches Licht strahlte. Ein breiter Mund, dessen Lippen zurückgezogen waren und so
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