1179 - Der Killerzwerg
schattig. Stellen mit Pusteln oder Geschwüren. Eine hässliche Nase, die noch hässlicher wirkte, weil sie an der Scheibe plattgedrückt wurde. Der Mund ebenfalls, und die Lippen sahen aus wie zwei schiefe Gummischläuche.
Das Gesicht war nur für einen kurzen Augenblick da, dann war es wieder verschwunden.
Die Frau hatte nicht mal einen Schrei ausstoßen können, so schnell war alles abgelaufen. Aber sie spürte etwas ganz Neues in sich hochsteigen. Es war eine bohrende Furcht, die wie ein stumpfes Messer in ihre Magengegend gedrungen war und sich dort ausgebreitet hatte. Der Schock in der Abendstunde, ein Schreck in der Dunkelheit.
Oder hatte sie sich das Bild nur eingebildet? Hatten die Nerven ihr einen Streich gespielt?
Gina Nolin wusste nicht mehr, was Wahrheit oder Einbildung war.
Bisher hatte sie sich immer für einen realistischen Menschen gehalten. Jetzt war sie nicht mehr sicher. Es war alles so verdammt fremd. Sie war auch nicht verrückt, und sie drehte niemals durch.
Man hatte ihr während der Ausbildung beigebracht, die Nerven zu behalten. In diesem Fall allerdings wusste sie nicht mehr ein noch aus.
Wahrheit oder Einbildung?
Allmählich kam sie wieder zu sich. Gina schaute gegen die Scheibe, aber da war nichts mehr zu sehen. Außerdem war das Glas durch ihren Atem beschlagen.
Sie wischte die Scheibe so gut wie möglich wieder frei und erhielt eine etwas bessere Sicht. Es war egal, zu welcher Seite der Straße sie auch hinschaute, das Bild glich sich, denn rechts und links der Fahrbahn wuchs der Wald und zudem noch dichtes Unterholz, das ebenfalls gute Verstecke bot.
Auch für Menschen!
Auch für einen wie den mit dem schrecklichen Gesicht, dessen Anblick Gina nicht vergessen konnte. Es war da gewesen. So etwas konnte nicht ihrer Fantasie entsprungen sein. Das war einfach unmöglich.
Wer sah schon so aus?
Ein Mensch?
Nein, kaum vorstellbar. Für Gina war es ein Monster. Wenn es ein Mensch gewesen war, dann hatte er sich verkleidet. Welchen Grund sollte er gehabt haben? Bis zu Halloween waren noch ein paar Wochen Zeit. Allmählich kam ihr der Gedanke, dass sich der Typ nicht verkleidet hatte und womöglich auch nicht an ihren Wagenfenstern gewesen war. Sie hatte ihn sich nur eingebildet. Der Regen und das ablaufende Wasser außen an der Scheibe hatten die Gestalt geschaffen.
Gina Nolin wusste sehr gut, dass sie sich etwas vormachte. Nur wollte sie es nicht zugeben, aber an irgendeine Hoffnung musste sie sich ja klammern.
Aussteigen. Zu Fuß gehen. Durch den Regen und auch durch den verdammten Wald.
Plötzlich begann sie zu zittern, und sie hatte den Eindruck, dass ihr Herz von einer anderen Kraft umklammert wurde. Die Furcht hatte Arme bekommen, die sich in ihrem Innern ausgebreitet hatten.
Gina wusste, dass sie hier nicht bleiben konnte. Natürlich bestand die Chance, dass ab und zu jemand vorbeikam, aber dieser Weg wurde bei einem derartigen Wetter gemieden. Es blieb nichts anderes übrig, als zu Fuß zurück zu den Häusern zu gehen und dort Hilfe zu holen.
Plötzlich huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Auf einmal war alles anders. Da fiel es ihr wie Schuppen vor den Augen. Die Angst hatte sie verrückt gemacht und ihr jeglichen klaren Gedanken genommen. Vor zehn Jahren wäre man noch hilflos gewesen, nicht aber heute im Zeichen der schnellen Kommunikation.
Das Handy steckte in der rechten Tasche ihrer Lederjacke. Wichtige Nummern hatte Gina einprogrammiert. Unter anderem auch die ihres Bruders Nick. Er verkaufte nicht nur Autos, er kannte sich auch in technischen Dingen aus. Wenn ihr jemand helfen konnte, dann war er es. Jetzt konnte sie nur darum beten, dass sie ihn auch zu Hause erreichte.
Jedenfalls ging der Ruf durch.
»Komm schon!«, flüsterte Gina und zitterte dabei. »Heb schon ab, bitte. Du kannst mich doch nicht im Stich lassen.«
Es wurde auch abgehoben. Nur hörte sie eine weiche Frauenstimme. »Ja, bei Nolin.«
»Bist du es, Rosy?«
»Klar.«
»Ein Glück.« Gina atmete auf. Rosy Sheldon war Nicks Verlobte.
»He, was ist denn? Deine Stimme klingt so komisch.«
»Ich stecke in der Scheiße, verstehst du?«
»Nein.«
»Gib mir mal Nick!«
»Das kann ich nicht.«
»Wieso denn nicht?« Ginas Stimme hatte einen leicht schrillen Klang bekommen.
»Er ist nicht da.«
»Mist. Ich…«
»Er ist noch bei einem Kunden zu Hause. Er wird nicht lange bleiben und…«
»Das passt mir nicht.«
»Was ist denn überhaupt los?«
»Ich stecke fest.«
»Der
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