118 - Der Unersättliche
übertönte ihre Worte. „Wir alle spüren, daß er bald zu uns herabsteigen wird. Wir opfern ihm, um ihm einen würdigen Empfang zu bieten."
„Ihr seid wahnsinnig", wiederholte Keller. Er packte Marcia an der Schulter und schüttelte sie. „Komm zu dir, Mädchen. Besinne dich. Begreife, daß Lonrival euch verhext hat!"
Marcia verzog spöttisch den Mund.
„Lonrival ist ein Hampelmann. Er hat nichts zu sagen. Kether ist in uns."
Und bei diesen Worten strich sie sich über ihren Bauch. Keller blickte unwillkürlich hin. Er stellte fest, daß sich ihr Bauch stark nach vorn wölbte.
„Kether ist in uns allen", sagte Marcia wieder und spielte dabei mit einer Raffia-Schnur.
Keller blickte sich suchend um. Er hielt nach den anderen Mädchen Ausschau. Entsetzt stellte er fest, daß alle jene, die durch ihre Raffia-Schnüre als Kether-Mädchen gekennzeichnet waren, pralle Leiber hatten.
Als seien sie schwanger.
„Was wollt ihr hier?" fragte Keller gehetzt.
„Rate mal!"
Keller wandte sich ab. Da stand Karla vor ihm.
„Du gehörst mir, Hugh", sagte sie wie nebenbei und schob sich an ihm vorbei zur Bar.
Keller begann zu zittern. Gab es denn keine Möglichkeit, dem Schicksal eine Wendung, zu geben? Er konnte nicht zulassen, daß die Mädchen alle Männer in diesem Lokal einfach abschlachteten. Er mußte sie warnen.
Keller drängte zum Ausgang. Lonrival kam wieder tänzelnd heran.
„Nun?" raunte er.
Keller war geneigt, ihm zu vertrauen, nachdem Marcia so abfällig über ihn gesprochen hatte.
„Wo können wir uns treffen?" fragte Keller leise zurück.
„In Hernandos Büro", antwortete Lonrival. „Sofort. Die Mädchen werden Sie nicht daran hindern. Sie versperren nur den Ausgang. Ich folge Ihnen in ein paar Minuten."
Keller zündete sich eine Zigarette an und schlenderte zum hinteren Teil der Bar, der zu den Privaträumen führte. Ein Mädchen, das Raffia-Schnüre trug, streifte ihn provozierend mit ihrem vorgewölbten Bauch.
„Willst du deine Leidensgenossen nicht warnen, Hugh?" fragte sie. Ihr Partner lachte dazu dämlich.
Keller ging weiter. Vielleicht warteten die Mädchen wirklich nur darauf, daß er die Männer warnte, um einen Anlaß zu haben, mit dem Massaker zu beginnen…
Keller stieß die Pendeltür auf und betrat den Korridor. Er ging bis an sein Ende. Dort war Hernandos Büro. Ohne zu klopfen trat er ein - und prallte entsetzt zurück.
Hernando war mit Raffia-Schnüren an einen Sessel gebunden, und zwar mit dem Kopf nach unten. Sein Hals war so stark eingeschnürt, daß man ihn mit Daumen und Zeigefinger hätte umfassen können. In seiner leblosen Rechten brannte noch eine Zigarre. Bei Kellers Schritten entfiel sie seinen steifen Fingern und landete auf dem Boden. Die Glut brannte sofort ein Loch in den Teppich. Keller wollte sie austreten, um einen Brand zu verhindern.
Feuer!
Vielleicht war das die Rettung!
Die Tür flog auf. Keller wirbelte herum, den Revolver schußbereit.
„Nicht schießen! Ich bin es!" rief Lonrival entsetzt.
Keller senkte die Waffe trotzdem nicht.
„Warum plötzlich dieser Sinneswandel, Lonrival?"
Der Curandeiro sank in sich zusammen.
„Die Mädchen sind mir über den Kopf gewachsen. Ich habe keine Gewalt mehr über sie. Sie sind von einem bösen Dämon besessen."
„Ich dachte, Sie seien dieser Dämon. Es scheint, als hätten Sie die Mädchen im Namen Kethers zum Morden angestiftet." Keller schüttete den Inhalt des Papierkorbs über die glosende Zigarre. „Ich habe gesehen, wie Sie Alexandra Monteiro diesen Namen in den Körper geschnitten haben. Vermutlich haben Sie das mit allen Mädchen getan."
Lonrival nickte und beteuerte gleichzeitig: „Aber ich habe nicht gewußt, welche Wirkung ich damit erzielen würde. Ich wurde selbst getäuscht, Hugh. Haben Sie gemerkt, welche Veränderung mit den Mädchen vor sich gegangen ist? Sie machen alle eine Scheinschwangerschaft durch."
„Sie sind der Spezialist für Abtreibungen."
„Spotten Sie nur. Wenn wir keinen Ausweg finden, dann geht es uns allen an den Kragen."
„Was erwarten Sie denn von mir?"
„Es gibt noch eine Chance für uns. Aber dabei brauche ich Ihre Hilfe. Die Mae Nara hatte viele Anhänger, die ihren Tod sicher rächen wollen. Ich habe versucht, mit ihnen in Kontakt zu treten. Aber es gelang mir nicht, weil die Mädchen mich dauernd bewachten. Wenn sie merken, daß ich ein falsches Spiel treibe, werden sie nicht zögern, auch mich zu töten. Sie dagegen könnten es schaffen, sich
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