118 - Der Unersättliche
abwechselnd zu ihm.
„Lonrival", sagte das Knochengesicht. „Du bist ausersehen, ein Diener des Gottes Kether zu werden, der zu deiner Welt hinabsteigen wird. Du sollst Kethers Hohepriester sein. Erbaue ihm einen Tempel. Es braucht kein Bauwerk aus Stein zu sein - nimm einfach ein kleines Stück Land deiner Welt, etwa Buzios, und weihe es deinem Gott Kether."
„Du wirst einst alle Macht der Welt besitzen", sagte das Heiligengesicht auf der Rückseite des Kopfes einschmeichelnd, „wenn du deine Fähigkeiten richtig einsetzt. Jeder Mensch, den deine begnadeten Hände berühren, wird dir hörig sein, wenn du es im Namen deines kommenden Gottes Kether tust."
„Aber gib acht - Kether will nur Diener eines einzigen Geschlechts. Wähle also nur Frauen aus, die Krönung eurer Schöpfung. Denn Kether - das bedeutet Krone."
In der Folge waren dann die Bilder so schnell vor seinem geistigen Auge abgelaufen, daß er sie später nicht mehr in einzelnen Szenen aufgliedern konnte. Aber die Bilder zeigten ihm eindrucksvoll den Weg, den er gehen mußte, um Diener für seinen neuen Gott zu schaffen.
Es war ganz einfach. Wenn er zu einer Patientin gerufen wurde, so genügte es, ihnen statt des geistheilenden Operation ein magisches Buchstabenquadrat in den Körper zu ritzen: KETHER ETHERE THEREH HEREHT ERETHE REHTEK -Variationen des Namens seines neuen Gottes.
Er tat dies reinen Gewissens, denn er was davon überzeugt, daß sie wie er zu Höherem bestimmt waren, daß Kether sie zum Licht führen würde.
Doch es war ein Weg in den Abgrund.
Zuerst war Lonrival in seinem Fanatismus blind für die Realität gewesen. Er sah die Zeichen des kommenden Unheils einfach nicht. Dann sah er sie, aber er wollte sie nicht wahrhaben. Er war verblendet.
Erst als er bemerkte, daß seine Dienerinnen ihm nicht mehr gehorchten, sondern im Namen Kethers mordeten, da begriff er, daß er überlistet worden war. Entweder war Kether ein blutrünstiger Götze - oder ein bösartiger Dämon hatte ihn für seine Zwecke mißbraucht.
Dieser Dämon mit den zwei Gesichtern.
Als Lonrival da Silva feststellte, daß „seine" Mädchen wahllos Männer ermordeten, um ihre Opfer dann auf heidnische Weise aufzubahren oder zu verscharren, hatte er versucht, sie mit synkretistischen Lehren, wie man sie ihm in Bahio beigebracht hatte, auf den rechten Weg zurückzubringen. Doch sie hatten ihn nur ausgelacht. Er erinnerte sich noch genau an die Worte, die eines der Mädchen zu ihm gesagt hatte.
„Wenn du versuchst, uns gegen Kether aufzuhetzen, dann wird er dich durch unsere Hand bestrafen. Tanze, Oga! Heile, Oga! Und führe unserem Kreis noch viele, viele Gleichgesinnte zu."
Von diesem Augenblick an wußte Lonrival, daß er keine Macht mehr über die Mädchen hatte. Sie hörten nur noch auf die Befehle des doppelköpfigen Dämons. Er war nicht mehr ihr Oga, sondern wurde immer mehr zu ihrem Sklaven. Sie waren es, die ihn zu Häusern führten, in denen Frauen wohnten, die sie in ihren Kreis aufnehmen wollten. Sie waren es, die ihn dazu nötigten, seine Instrumente zu führen und den „Novizinnen" die magischen Buchstabenquadrate in die Körper zu schneiden.
Er war in einen Teufelskreis geraten, aus dem er nicht mehr entkommen konnte…
Und es waren die Mädchen, die ihn zwangen, mit ihnen die
Bar do Hernando
aufzusuchen, wo die Männer willige Opfer abgaben.
Lonrival hatte keine andere Wahl, als mit den Mädchen zu gehen. Sonst würde er ein unrühmliches Ende nehmen. Vielleicht, so hatte er anfangs gehofft, würde er einEl Möglichkeit finden, die potentiellen Opfer zu warnen. Doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch.
Bis dann plötzlich Hugh Keller auftauchte, den er selbst noch vor einigen Stunden gejagt hatte…
Kellers erster Gedanke war, daß Lonrival ihn in eine Falle locken wollte.
Doch - warum sollte er das nötig haben?
Keller ging an die Bar und bestellte Whisky. Eine bekannte Mädchenstimme sagte zu ihm: „Schöne Grüße von Leila. Sie will dich schnellstens wiedersehen."
Keller blickte in Marcias Gesicht. Er verstand die Anspielung. Marcia hatte die Maske fallen lassen. Ihm gegenüber brauchte sie nicht mehr Theater zu spielen. Er wußte, was für ein Teufel sie war.
Er stürzte seinen Whisky hinunter und fragte dann mit belegter Stimme: „Warum tut ihr das, Marcia?"
„Wir sind es Kether schuldig."
„Ihr seid wahnsinnig. Ihr tötet für einen fiktiven Götzen…"
„Kether lebt!" Sie schrie es fast, aber die Musik
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