1183 - Visionen der Hölle
ausgelacht und nichts getan. Für sie war ich Freiwild. Aber sie irrten sich. Der Spiegel ist nichts für sie gewesen. Sie haben ihn unterschätzt. Sie wussten nichts von der anderen Welt. Sie haben meinen Visionen nicht geglaubt, die mich beim Tanzen überkamen…«
»Deshalb also die Gestalten in den Spiegeln an der Tanzfläche«, sagte ich.
»Richtig. Sie waren einfach so nah. Es glich schon einem Wunder. Es waren meine Gedanken oder es waren die, die ich gesehen habe. Ich konnte in die andere Welt hineinschauen. Sie hat sich mir geöffnet. Sie war so weit, und sie war voller Freude für mich. Ich wusste, dass sie mir zur Seite stehen würde. Die Visionen blieben keine Visionen. Irgendwann einmal würden sie mich erreichen und mich zu einer von ihnen machen. Das ist passiert.«
»Bist du eine Kreatur der Finsternis?« Die Frage hatte mir auf der Seele gebrannt. Ich wollte die Antwort haben und hoffte, dass sie in meinem Sinne ausfiel.
»Jetzt bin ich dabei.«
»In dieser Gestalt?«
»Ich bin beides. Mann und Frau. Aber ich bin trotzdem weder das eine noch das andere. Ich bin die neue Art. Ich bin androgyn. Ich kann beides sein, wenn ich will. Mal bin ich Frau, mal bin ich Mann. Die Kraft der Veränderung steckt in mir.«
Glich das, was wir soeben gehört hatten, einer Revolution? War das der Neuanfang, den auch Luzifer probieren wollte, um noch näher an die Menschen heranzukommen? Hatte er sich etwas anderes ausgedacht? War er neue Wege gegangen, um weniger aufzufallen? Oder nutzte er nur einen Trend aus?
Es gab ja immer mehr Menschen, die sich mal zu Männern und mal zu Frauen hingezogen fühlten.
Die einfach beides waren. Neutral, sich nur nicht festlegen. Auch das passte in den Trend, der sich auf der Welt breit gemacht hatte, und Luzifer hatte sich durch die Erschaffung dieser Gestalt auf den fahrenden Zug geschwungen. Der Spiegel war für ihn so wichtig gewesen. Er hatte den Kontakt hergestellt, um schließlich das Erbe in den Augen der neuen Person zu hinterlassen.
Doria reagierte nicht darauf, dass ich mein Kreuz bei mir trug. Und als ich danach fasste, merkte ich, dass die Wärme nachgelassen hatte.
Doria wollte nicht mehr reden. Sie deutete es durch ein unwilliges Kopfschütteln an, bevor sie sich in Bewegung setzte und mit kleinen Schritten auf die Tür zuging. Uns ließ sie einfach stehen.
Wir waren so überrascht, dass ich sie erst ansprach, als sie die Türschwelle schon erreicht hatte.
»He!« rief Suko. »Wo willst du hin?«
»Weg aus der Hölle. Mit der Hölle ins Leben!«
Es war für uns eine rätselhafte Antwort. Beide waren wir zu überrascht. Diese kurze Zeitspanne nutzte Doria aus. Sie schritt über die Schwelle hinweg und drehte sich nach rechts, um dort im Gang zu verschwinden.
Noch im gleichen Augenblick »brannte« mein Kreuz!
Es stand nicht in Flammen. Ich bekam wohl den Hitzestoß mit, der nicht von Doria stammte.
Es war die letzte Warnung, und die gab ich an Suko weiter. Er hatte sich gedreht, um sich auf den Spiegel zu konzentrieren. Auch ich erhaschte einen Blick auf die Fläche, die sich innerhalb kürzester Zeit veränderte.
Rot wie Glut!
Ein mit Feuer gefüllter Ofen, der urplötzlich auseinanderflog…
***
Für uns ging es um Sekunden!
Wir mussten weg, und wir mussten verdammt schnell sein, denn die andere Seite war dabei, die Spuren zu vernichten. Das Fauchen hörte sich an, als hätte uns ein Drache seine Feuersbrunst entgegengeschickt. Tatsächlich war es nur der Spiegel, der explodierte und die heißen Strahlen sternförmig wegschickte.
Wir hechteten über die Schwelle. Wir tauchten in den Gang. Wir hörten hinter uns den Lärm der Flammen, deren verdammtes Fauchen einfach nicht aufhören wollte.
Noch im Gang sahen wir, was im anderen Zimmer geschah. Als wir uns aufrappelten, da tanzte der Widerschein über die Wände hinweg. Es waren nicht einfach nur Gebilde aus Licht und Schatten, nein, wir sahen plötzlich Fratzen. Widerliche Gesichter, wenn auch nur in Schattenform, aber das waren die echten Kreaturen der Finsternis, denen in diesen Momenten ein Tor geöffnet war.
Sie hetzten uns nach. Sie griffen nach uns. Ich hatte längst das Kreuz hervorgeholt und es nach vorn gestreckt. Aus der Tür hervor drängte sich das Feuer. Es schlug wie mit zuckenden Armen nach irgendwelchen Opfern, und es war nicht zu stoppen.
Bis es mein Kreuz erreichte.
Suko war hinter mir geblieben. Mit seiner Dämonenpeitsche konnte er in diesem Fall nichts ausrichten. Wenn
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