1183 - Zwischen Licht und Finsternis
Kommandantin in seiner Sympathie.
Er lächelte und wollte eine freundliche Antwort geben, doch in diesem Moment tat Gyrdie etwas, womit er nie gerechnet hätte. Völlig überraschend packte sie die Raupe, hob sie von der Schulter und streckte sie ihm entgegen. „Nimm ihn. Er ist friedlich. Du interessierst dich doch für seinen Körperbau. Ich erlaube dir, ihn genau anzusehen. Danach legst du ihn bitte unter die Lampe. Er braucht das."
Adoll wußte nicht, wie ihm geschah. Er nickte verdutzt und griff vorsichtig nach dem Tier. Es fühlte sich ungewohnt kühl und rauh an und wirkte zugleich so zartgliedrig, daß er einen Moment lang zögerte, es mit beiden Händen fest zu umfassen. Zusätzlich irritierte ihn der grimmige Ausdruck, den Goliaths Runzeln plötzlich annahmen.
So kam es, daß Gyrdie ihren Liebling losließ, bevor Adoll ihn sicher zu packen bekam. Die Raupe entglitt seinem Griff und fiel zu Boden. Er hörte einen dumpfen Aufprall und ein kehliges „Rmpf".
Erschrocken und schuldbewußt trat er zurück. Er wartete auf Goliaths löwenhaftes Gebrüll und auf Gyrdies keifende Tirade. Doch nichts dergleichen geschah. „Oh", sagte die Kommandantin nur zu dem Vorfall, der sie vor einer Stunde noch auf die Barrikaden getrieben hätte.
Ja, sie lachte sogar, während sie sich bückte und die Raupe hochhob. „Goliath ist manchmal sehr eigensinnig", erklärte sie sanft und gab dem Tier einen leichten Klaps auf den Hinterleib. „Du Schlingel, du sollst dich nicht so widerborstig benehmen."
„Prmurpf."
„Ja, ich weiß!"
Sie trug Goliath zu dem für ihn aufgestellten Tisch und legte ihn unter die Lampe, wo er sich behaglich ausstreckte. Als sie zum Kommandostand zurück ging, stieß sie den Waffenmeister mit dem Ellbogen an. „Zehn Minuten, dann schläft er und merkt nichts. Bis er wieder aufwacht, kannst du ihn ausgiebig betrachten."
Adoll nickte dankbar. Abermals verbesserte die Kommandantin ihr persönliches Punktekonto bei ihm.
Er war zufrieden. Unverkennbar tat die Pax-Aura, von der Taurec gesprochen hatte, ihre Wirkung. Die Art, wie die Leute sich gaben, gefiel ihm ebenso, wie ihn die eigene Ausgeglichenheit beeindruckte.
Es machte ihm sogar Spaß zuzusehen, wie die unnahbare Lory Nelson hemmungslos mit Gerrit Kloares flirtete.
*
Senkrecht zur Ebene der Planetenbahnen war die Signalflamme in das Pliyirt-System eingebrochen und schließlich zum Stillstand gekommen - Stillstand insoweit, als sie Zülüt, die Welt der Hanen, völlig einhüllte und sich deren Eigenbewegung um die Sonne anglich. Bully zweifelte nicht daran, daß die Pax-Aura dort ebenso gravierende Veränderungen bewirkte wie an Bord der IRON MAIDEN. Ein Funkgespräch mit dem Zweiten Block der Raumfahrt bestätigte seine Vermutung. Nach der Auskunft der Hafenbehörde war die gesamte Bevölkerung des Planeten von der Friedensstrahlung beeinflußt.
Bullys erster Gedanke: Immerhin merken sie, daß etwas von außen auf sie einwirkt - auch wenn sie sich dem nicht entziehen können.
Er selbst blieb aufgrund seiner Mentalstabilisierung von der Pax-Aura verschont, und im Gegensatz zum Rest der Mannschaft benagte ihm die bedingungslose Friedfertigkeit überhaupt nicht. Er hielt sie für gefährlich, weil sie die Menschen einlullte und den Sinn für mögliche Gefahren kompromißlos verschloß. Daß er dennoch dafür plädierte, auf Zülüt zu landen, hatte einen besonderen Grund. Die Gesellschaft der Hanen war für interne Konflikte geradezu prädestiniert. Nicht nur, daß sich das Verhältnis der männlichen zu den weiblichen Blues auf 25:1 belief, hatten sich auf dem Planeten Ordnungsschemata herausgebildet, die ihresgleichen suchten. Aus den Sternkatalogen des Bordcomputers der IRON MAIDEN hatte sich Bully mittlerweile alle wichtigen Daten zu eigen gemacht. Die jungen, heranwachsenden Hanen verbrachten ihre Kindheit in speziellen Klostersiedlungen - bis zur Geschlechtsreife. Danach wurden die Frauen in das ausgedehnte Polgebirge geschickt, wo sie an einem bestimmten Ort auf ihren Sexualpartner warteten. Dieser Vorgang vollzog sich in ihrem Leben in dauernden Zyklen, die durch die zwei Monate pro Jahr währende Fruchtbarkeitsphase bestimmt wurden; ansonsten hielten sich die weiblichen Hanen isoliert. Die Männer dagegen mußten sich in den Städten und Siedlungen profilieren: Eingespannt in den eigentlichen Arbeits- und Produktionsprozeß, bestimmten sie allein die gesellschaftliche Struktur des hanischen Lebens. Wo immer aber das
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