1190 - Die stählerne Spinne
die Geiseln im Auge behalten? Sie waren zu zweit, das brachte einen Vorteil. Eine Zeitlang würden sie sich damit aushelfen können, daß der eine wachte, während der andere schlief.
Aber dadurch wurde ihre Marschgeschwindigkeit verringert, was wiederum die Gefahr vergrößerte.
Nein, fand Leo Dürk: Die Aussichten waren nicht rosig. Auf der anderen Seite auch nicht niederschmetternd. Wenn sie ein wenig Glück hatten, mochte es ihnen gelingen, die Sache abzuwickeln, ohne daß sie das Fell dabei verloren. Aber Leo, war Pragmatiker. Glück war ein Parameter, den er in seine Berechnungen nicht miteinbezog.
Sie bewegten sich etwa eine halbe Stunde lang auf einem Kurs, den Clifton Callamon durch laute Zurufe aus seiner rückwärtigen Position bestimmte. Schließlich gelangten sie in eine große, kahle Halle, unter deren Decke Leuchtkörper installiert waren, von denen nur noch die Hälfte funktionierte. Immerhin war das Licht hier wesentlich heller als in Torquantuurs Thronsaal.
Callamon veranlaßte, daß die Geiseln sich in der Mitte des großen Raumes zu einer dichtgedrängten Gruppe versammelten. Der Platz war ideal gewählt: freie Sicht nach allen Seiten. Niemand konnte sie hier überraschen. „Ihr kennt unser Anliegen", begann der Admiral. „Wir sind ohne unsere Schuld in diese Lage geraten und haben weiter nichts im Sinn, als auf dem schnellsten Weg zu den Unseren zurückzukehren. Wir wollen euch nicht übel. Was wir von euch verlangen ist, daß ihr uns den Weg dorthin zeigt, wo wir ein Fahrzeug finden können, mit dem sich die Rückkehr bewerkstelligen läßt. Ich warte auf eure Antworten."
Sie müßten dämlich sein, wenn sie uns darauf eine ehrliche Antwort gäben, ging es Leo Dürk durch den Sinn. Callamons Methode der Befragung erschien ihm wenig erfolgversprechend.
Man müßte es anders anfangen, dachte er. Aber wie anders, das hätte er in diesem Augenblick auch nicht sagen können.
Er stand zwei Schritte von Callamon entfernt. Die Waffe hatte er längst wieder in den Gürtel geschoben. Von den Geiseln ging keine Gefahr aus. Da neigte der Admiral sich ein wenig zur Seite. Mit seinen knapp zwei Metern überragte er den stämmig, aber nicht besonders groß gebauten Waffenmeister um Haupteslänge. „Die wären verrückt, wenn sie auf meine Aufforderung eingingen", sagte er mit unterdrückter Stimme auf Interkosmo. „Aber paß scharf auf, wie sie reagieren. Ich verspreche mir etwas davon."
*
Die Parias rührten sich nicht. Sie starrten jeder aus sechs Augen ausdruckslos vor sich hin, auch Torquantuur, die Herrscherin. „Was riecht hier so merkwürdig?" fragte Clifton Gallamon.
Leo Dürk hatte den eigenartigen Geruch im selben Augenblick wahrgenommen. Er ging von den Arachniden aus. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Es bestand ein Zusammenhang zwischen der Forderung, die Callamon gestellt hatte, und dem Geruch, den die Parias verströmten. Der Geruch stellte eine Art Reaktion dar. Er brachte ihre Meinung, ihre Emotionen zum Ausdruck. Er erinnerte sich an die kurze Unterhaltung mit Girinaar. Mit einem süßsäuerlichen, nicht unangenehmen Duft hatte er auf die Erkenntnis reagiert, daß die Terraner den Versicherungen der Parias nicht trauten; daß sie entschlossen waren, Torquantuur im Notfall zu töten, obwohl sie ihren einzigen Schutz darstellte.
Aber dann, nachdem Girinaar seinen Entschluß gefaßt hatte, war ein Geruch von kalter Asche spürbar gewesen, ein Ausdruck des Zorns, der Verachtung und der Entschlossenheit, als er dem Waffenmeister versicherte, er werde von nun an nur noch nach dem Tod der Frevler streben.
Natürlich, dachte Leo Dürk. Wie habe ich es übersehen können? Die Fähigkeit, Emotionen durch die Abgabe körperlicher Ausdünstungen auszudrücken, war im Universum weit verbreitet. Der Mensch besaß sie in rudimentärer Form: Im Augenblick der Belastung begann er zu schwitzen. Ein anderes, primitives Beispiel waren die Pheromone, mit denen die Mitglieder gewisser Insektenarten den Geschlechtspartner anzulocken versuchten.
Wir müßten nur noch lernen, die Gerüche zu deuten, ging es Leo Dürk durch den Sinn. Im selben Augenblick sagte Clifton Callamon: „Ich warte noch immer auf eure Antwort."
Eine neue Nuance mischte sich in den Schwall der Gerüche - säuerlich, unangenehm, verdachterregend. So schwer ist es nicht, ihre Ausdünstungen zu verstehen, dachte Leo Dürk amüsiert. Das stinkt förmlich nach Verrat.
Einer der mit bunten Fetzen
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