1194 - Lady Sarahs Horror-Trip
hätte sie sich selbst sehen müssen. Und das passierte auch, denn sie entdeckte ihr Gesicht an der rechten Seite des Spiegels, weil sie auch dort stand. Deshalb nahm ihr Gesicht auch nur einen kleinen Teil der Fläche ein.
Der größere blieb jedoch nicht frei…
Er gab etwas wieder.
Sarah konnte es im ersten Moment nicht glauben. Deshalb drehte sie sich auch um und schaute in das Zimmer hinein.
Da war nichts. Da hatte sich nichts verändert. Sie sah die Möbel, den Teppich, aber keine Menschen.
Und trotzdem waren welche da.
In der Spiegelfläche zeichneten sie sich ab.
Es waren zwei Personen. Der Mann im Rollstuhl und eine daneben stehende Frau, die wie ein Schutzengel wirkte…
***
»Nein, unmöglich…«
Lady Sarah flossen die beiden Worte aus dem Mund, obwohl sie diesen Kommentar gar nicht hatte geben wollen, aber sie konnte nicht anders. Sie war einfach zu sehr überrascht und fühlte sich, als hätte man sie mit Eiswasser übergossen.
Aber sie fing sich rasch wieder. Sie blickte auf das größere Foto auf dem Schreibtisch und verglich es mit dem Bild im Spiegel.
Es gab nicht den geringsten Zweifel.
Der Mann auf dem Foto war mit dem im Spiegel identisch. Es gab keinen Unterschied. Der gleiche Rollstuhl, das gleiche Aussehen, da passte alles zusammen. Bis auf eine Kleinigkeit. Die Gestalt im Spiegel sah bleicher aus als die auf dem Foto.
Und die Frau?
Sarah hatte sie mit einem bleichen Schutzengel verglichen, die auf den Mann aufpasste. Sie wirkte auf den ersten Blick wie eine feinstoffliche Erscheinung, die das Jenseits verlassen hatte. Das bleiche Gesicht, die ebenfalls bleichen Glieder, und auch ihr Haar sah aus wie helle Asche.
Ein Fremdkörper beim ersten Hinsehen. Doch dem war nicht so, das wusste auch Sarah. Sie glaubte nicht daran, dass die Frau motivationslos einfach nur neben dem Mann im Rollstuhl stand. Sarah wollte sie genau sehen, um ihre Vermutung bestätigt zu bekommen. Deshalb setzte sie wieder ihre Brille auf.
Jetzt war das Bild besser zu sehen. Auf den ersten Blick hatte die Frau wegen ihrer bleichen Erscheinung so alt gewirkt. Das war sie beileibe nicht. Sie war auf keinen Fall alt. Da durften auch die Haare nicht täuschen. Sie hatte ein noch junges Gesicht, und genau das Gesicht, das Lady Sarah schon vom Bild her kannte.
Die Frau auf dem Bild war mit der im Spiegel identisch. Nur die Haut war blasser, und die Haare waren bleicher. Auch die Lippen hatten sich diesem Farbton angepasst. Ansonsten stimmte alles überein.
Sarah spürte einen leichten Schwindel. Sie musste sich am Rand der Kommode festhalten und stellte sich die Frage, in was sie da hineingeraten war.
Für sie war es eine Botschaft. Die beiden wollten ihr etwas übermitteln. Auch wenn sie keine Beweise hatte, sie ging einfach davon aus, dass der Mann im Rollstuhl kein anderer war als Abel Morley. Und die Frau - ja, wer war sie?
Tochter, jüngere Ehefrau oder eine Betreuerin?
Sarah musste sich die Möglichkeiten offen halten. Sie war froh, die normale Kraft und das normale Denken zurückgefunden zu haben, so konnte sie sich besser mit dem Motiv beschäftigen.
Beide Gestalten bewegten sich nicht. Der Mann saß starr, als wäre er auf der Stelle eingefroren worden, und bei der Frau traf der gleiche Vergleich zu.
Aber beide schauten in eine Richtung. Sie sahen aus dem Spiegel heraus und direkt in die großen Augen der Betrachterin. Sarah drückte ihr Gesicht wieder näher an den Spiegel heran, weil sie herausfinden wollte, ob man ihr nicht doch eine Botschaft vermittelte, und sei es nur durch die Hintertür.
Nichts davon traf zu. Die Gestalten bewegten sich nicht. Sie waren in der jetzt klaren Fläche gefangen.
Bisher hatte Sarah den Spiegel noch nicht angerührt und sich auch nicht getraut. Spontan reagierte sie nicht. Lieber wartete sie ab, was noch passierte.
Zunächst nichts. Auch in den folgenden Sekunden blieb alles gleich. Die Gestalten zogen sich nicht zurück und wurden auch nicht zurückgezogen.
Die Horror-Oma dachte über transzendentale Tore nach. Da gab es Spiegel, durch die man in andere Welten hineindringen konnte, wenn man sie berührte.
Das war Sarahs Freund John Sinclair schon öfter passiert, und sie wusste auch, was er anschließend erlebt oder durchlitten hatte. Das wollte sie nicht gerade erleben. Deshalb zögerte sie auch mit der Berührung der Spiegelfläche.
Immer konnte sie auch nicht warten.
Irgendwann musste sie über den eigenen Schatten springen. Sehr zögernd hob sie den
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