1194 - Lady Sarahs Horror-Trip
Jugendstilzeit hineinpassen.
Sarah ging um ein Stehpult herum, auf dem nichts lag, kein Papier, kein Schreibgerät. Das Haus war leer, es wirkte leer und verlassen, und trotzdem wollte die Horror-Oma das so nicht hinnehmen. Das Gefühl ließ sich einfach nicht vertreiben, und auf ihr Gefühl hatte sie sich immer verlassen können.
Sie wusste, dass sie nicht allein war. Etwas befand sich in diesem Haus, das Sarah allerdings nicht beschreiben und nur auf eine spezielle Art und Weise spüren konnte.
Der Spiegel zog sie an. Er wirkte auf sie wie ein mächtiger Magnet, und Sarah entdeckte sich selbst darin. Sie sah sich durch das Zimmer schleichen und trotz des Teppichs vorsichtig auftreten. Ebenso vorsichtig umging sie einige Möbelstücke, achtete auch nicht auf die Titel der Bücher, streifte beinahe an einer Stehlampe entlang und erreichte schließlich ihr Ziel.
Klar und hell gab der Spiegel ihr eigenes Bild zurück. In der Fläche bewegte sich nur etwas, wenn auch Sarah leicht unruhig wurde, aber der Spiegel war für sie nicht wichtig. Sie interessierte sich mehr für die beiden unterschiedlich großen Bilder, die auf der Kommode standen.
Das größte schaute sich Lady Sarah zuerst an, ohne es allerdings in die Hand zu nehmen. Sie bückte sich nur leicht und setzte wieder die Brille auf.
Es war ein Foto, das von einem schlichten Silberrahmen umgeben war. Sarah sah einen älteren Mann, der in einem Rollstuhl saß, die angewinkelten Arme auf die Lehnen gestützt und seine Hände übereinander gelegt hatte. Er trug einen dunklen Anzug und darunter einen Pullover.
Das Gesicht war dem Betrachter zugedreht. Dass der Mann nicht mehr jung war, erkannte Sarah auf den ersten Blick. Die 70 musste er erreicht haben. Sein Haar war auf dem Kopf verschwunden. Es wuchs nur noch als heller Flaum an den Seiten herab.
Ein relativ rundes Gesicht. Große eulenartige Augen, eine Nase, die ebenfalls wie der Schnabel einer Eule wirkte, weil sie so gekrümmt war, und ein Mund, dessen Lippen kaum auffielen.
Sarah konzentrierte sich auf den Blick des Mannes. Er sah neutral aus, und trotzdem glaubte sie, dort einen verlorenen Ausdruck zu erkennen, als hätte dieser Mann unter großen Problemen zu leiden. Was kein Wunder war, wenn man in einem Rollstuhl saß.
Sie drehte den Kopf nach links und schaute sich das zweite Foto genauer an.
Das Gesicht und ein Teil des Oberkörpers einer Frau waren darauf zu sehen. Eine Person mit dunklen Haaren, die den Kopf leicht schräg gelegt hatte und ein wenig verträumt oder verloren den Betrachter anschaute.
Die Frau war viel jünger als der Mann. Lady Sarah schätzte ihr Alter auf 30 Jahre. Die Haut war so bleich wie bei einer Person, die selten an die frische Luft kam. Der Mund war geschlossen, und Sarah gefiel der Schwung ihrer Lippen.
Beide, der Mann und auch die Frau machten einen unglücklichen Eindruck. Die Besucherin richtete sich wieder auf und dachte darüber nach, wer die beiden Personen wohl sein konnten.
War der Mann im Rollstuhl Abel Morley?
Sie ging davon aus. Die Frau konnte durchaus seine Tochter sein, aber auch seine um viele Jahre jüngere Ehefrau.
In den letzten Sekunden war die Horror-Oma unsicher geworden. Je länger sie das Bild des Mannes betrachtete, umso mehr hatte sie das Gefühl, es schon einmal gesehen zu haben. Sie konnte sich nur nicht daran erinnern, wann es gewesen war. Jedenfalls musste es schon sehr lange zurückliegen.
Sarah dachte daran, dass sie vier Mal in ihrem Leben verheiratet gewesen war. Keiner ihrer Ehemänner war auf unnatürliche Weise ums Leben gekommen, da hatte sie nie nachgeholfen. Als sie jetzt den älteren Mann sah, kamen ihr die Ehen wieder in den Sinn. Jeder ihrer Ehemänner hätte in diesem Alter sein müssen.
»Abel Morley«, murmelte sie. Die linke Hand ballte sie zur Faust. Sie wusste plötzlich, dass ihr der Name nicht mehr so unbekannt war, aber sie brachte ihn noch nicht in eine bestimmte Verbindung.
Etwas anderes spürte sie.
Es wurde kalt…
Zunächst achtete Sarah nicht darauf, weil sie mit den Gedanken beschäftigt war. Als die Kälte, die wie ein Strom an ihr vorbeiglitt, nicht aufhörte, wurde sie schon misstrauisch und hob ihren Kopf an.
Sie schaute in den Spiegel!
Sarah schrak zusammen, als sie merkte, dass die Kälte dort ihren Ursprung hatte. Es war kein Märchen, sie wehte ihr tatsächlich aus der Fläche entgegen, in der sie auch ihr normales und zugleich leicht erstauntes Gesicht sah.
Was war hier los?
Lady
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