1197 - Unhold in der Nacht
bewegten, als wären sie angestoßen worden.
Der Boden war mal mit Steinen oder Fliesen bedeckt gewesen. Die gab es zwar jetzt noch, aber sie waren kaum zu erkennen. Einfach verschwunden unter einer Schicht von Schmutz und Dreck.. Es war auch nicht einfach für Kelly, lautlos zu gehen. Geräusche hinterließ sie immer wieder.
Wo steckte das Untier?
Sie blieb stehen, als ihr diese Frage durch den Kopf schoss. Kelly fragte sich zudem, ob es sich in dieser Umgebung hier überhaupt versteckt hielt.
Von draußen her hörte sie Stimmen. Eine Frau sprach mit einem Mann. Sie hörte auch die Schritte, aber die beiden betraten die Halle nicht. Sie gingen vorbei, und die Geräusche verklangen.
Es blieb jedoch nicht so still wie zuvor. Etwas war zu hören, und Kelly spitzte ihre Ohren. Zunächst wusste sie nicht, woher das Geräusch erklang. In ihrer Nähe, aber trotzdem irgendwie weiter entfernt.
Hinzu kam der Geruch. Er strömte ihr von irgendwoher in die Nase. Sie drehte sich auf der Stelle.
Plötzlich war sie noch angespannter.
Sie sah nichts. Es bewegte sich nichts in der Nähe. Dennoch war der Geruch vorhanden, und plötzlich ging ihr ein Licht auf. Von unten, aus der Tiefe, als bestünde er aus nicht sichtbarem Gas, das seinen Weg durch die Ritzen des Bodens gesucht und gefunden hatte. Sie suchte den Boden vor ihren Füßen so gut wie möglich ab, ohne allerdings eine Lücke zu entdeckten.
Da gab es nur den Gullydeckel.
Ihre Blicke wurden von diesem runden Gegenstand angezogen. Es gab nur die eine Möglichkeit.
Dieser andere Geruch musste aus den seitlichen Öffnungen des Deckels sickern.
Vorsichtig näherte sich Kelly dem Rand. Es war nicht der übliche alte Gestank, der sie erreichte, sondern ein anderer, ein besonderer Geruch und ihr keineswegs unbekannt.
Schon einmal hatte sie ihn wahrgenommen. Es lag noch nicht lange zurück. In der Nacht, als sie von der verdammten Bestie gejagt worden war.
Und jetzt wieder!
Kelly starrte auf den Gully. Da quoll kein Dampf aus den Löchern, doch der Gestank ließ sich nicht wegdiskutieren. Es war das Gefühl der unsichtbaren Hand, die sich um ihre Kehle legte und alles zudrückte. Zugleich fing ihr Herz schneller an zu schlagen.
Weg!, dachte sie. Du musst fliehen! Die verdammte Halle ist eine Falle für dich. Du kannst nicht bleiben!
Die Warnungen waren da, aber sie kamen zu spät. Der Gullydeckel erhielt von unten her einen harten Druck. Er wurde aus seiner Öffnung hochgeschleudert und fiel dabei zur Seite. Leider in Kellys Richtung, die nicht schnell genug war, weil die Überraschung sie lähmte.
Ein verzweifelter Sprung zurück.
Zu spät.
Der schwere Deckel kippte, fiel und erwischte sie an den Unterschenkeln.
Der Aufprall ließ sie taumeln. Rasender Schmerz strömte von den Füßen her die Beine hoch. Tränen schossen in ihre Augen, und als sie nach hinten fiel, hatte sie das Gefühl, es in Zeitlupe zu erleben.
Dann schlug sie auf den Rücken. Der Rucksack dämpfte ihren Fall etwas.
Der Camcorder war ihr von der Schulter gerutscht und lag jetzt am Boden.
Eine Öffnung.
Und aus ihr schob sich die schreckliche Gestalt der vergangenen Nacht…
***
Suko wusste nicht, was ihn erwartete; Deshalb stellte er sich auf alles ein. Über die Leiter war er rasch und trittsicher nach unten gelangt. Seine Füße standen auf festem Boden, der allerdings von einer mitteldicken Schlammschicht bedeckt war. Im Schein der Lampe glitzerte sie feucht.
Suko war durch das Licht ein Risiko eingegangen. Er konnte sich dadurch als Zielscheibe betrachten, aber in dieser tiefen Dunkelheit wollte er sich nicht vortasten.
Dass er sich hier unten nicht in einem Verlies oder durch Wände begrenzten Kellerraum befand, überraschte ihn nicht. Auch dieser Teil gehörte zum Londoner Abwassersystem oder war zumindest daran angeschlossen. Er musste nur ein paar Schritte gehen, um den Eingang des Stollens zu erreichen, der weiter in die Tiefe führte.
Er leuchtete auch in andere Richtungen und nahm seinen Weg erst auf, als er sicher war, allein zu sein. Es gab keinen Killer, der hier auf ihn lauerte.
Suko folgte dem Stollen. Der scharfe Lampenstrahl bewegte sich bei jedem Schritt. Sein Ende tanzte über den Boden hinweg. Hin und wieder strahlte Suko auch die Wände an.
Es war nicht allein die modrig riechende Feuchtigkeit, sondern ein anderer Geruch, der darin mitschwang. Der Werwolf sonderte diesen Gestank ab. Für Suko auch ein Zeichen, dass er diese Strecke erst vor kurzem passiert
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