1197 - Unhold in der Nacht
hatte.
Der Tunnel war nur an wenigen Stellen abgestützt. Ansonsten lag er frei. Er war auch nicht leer.
Irgendwelche Leute hatten hier ihren Müll und zahlreiches Gerümpel abgeladen. Manchmal musste Suko darüber hinwegsteigen. Er störte Ratten, die schnell und gewandt dem hellen Schein entkamen, und er nahm auch den säuerlichen Geruch auf, den der nicht nur anorganische Müll abströmte.
Hier verwesten, vergammelten und vermoderten noch viele Reste.
Er kannte sich auf diesem Gelände nicht aus und stellte sich die Frage, wohin ihn der Weg führte.
Gab es Ziele? Waren die einzelnen Hallen durch unterirdische Gänge miteinander verbunden, sodass er sich letztendlich nur im Kreis bewegte? Beides konnte stimmen. Jedenfalls war diese Welt ein ideales Versteck für den Werwolf.
John Sinclair hatte ihn gesehen, er nicht. Er hatte ihn auch beschrieben. So sah eigentlich nur ein Werwolf aus. Wenn er hier unten lebte, musste man sich fragen, ob das alles war.
Werwölfe fallen nicht einfach vom Himmel und steigen auch nicht von der Hölle hoch. Es musste einen Grund dafür geben, dass er sich hier unten aufhielt. Okay, das war ein Versteck, aber die Frage nach dem wirklichen Grund beschäftigte Suko mehr.
Woher kam er? Wie war er entstanden? Suko war sicher, dass Ezra Hayden, der Präparator, mehr darüber wusste. Er hatte sich nicht grundlos damit beschäftigt, Teere auszustopfen, und er hatte sogar den Schädel eines Wolfs ausgestopft und in den Eingangsbereich gehängt, wo ihn jeder Besucher sah.
Ein Zeichen? Vielleicht. Ein Beweis für die Nähe zwischen Mensch und Wolf. Sogar Werwolf…
Suko schaute nach den Wänden des Stollens. Er suchte Eingänge, die zu irgendwelchen Quertunnels führten, aber es war nichts zu erkennen. Es gab hier unten keine Verzweigungen. Dafür allerdings dünnten die Müllberge aus.
Der scharfe Geruch war geblieben. Er zeigte Suko an, dass er sich auf dem richtigen Weg befand.
Diese Welt war das ideale Versteck für die Bestie. Er war sicher, dass es an anderer Stelle auch einen Ausgang gab, durch den der Werwolf ins Freie entwischen konnte.
Es war still hier unten. Die einzigen Geräusche gingen von Suko selbst aus. An sie hatte er sich gewöhnt. Er hörte sie schon gar nicht mehr, und er spitzte plötzlich die Ohren, als ihm ein fremder Laut entgegenwehte.
Der Inspektor blieb stehen.
Er wollte herausfinden, ob sich das Geräusch wiederholte, um sicher zu gehen, dass er sich nicht geirrt hatte.
Da war es wieder!
Vor ihm und so laut, dass er es ohne Probleme identifizieren konnte. Es waren Schreie.
Hohe, dünne, auch schrille Schreie. Nicht von dem Werwolf abgegeben, sondern von einem Menschen, einer Frau.
Über Sukos Körper rann ein kalter Schauer…
***
Kelly O'Brien lag auf dem Boden und war nicht in der Lage, sich zu erheben. Sie konnte sich nicht mal rühren. Sie starrte nur nach vorn und wollte fast nicht glauben, was sich da vor ihren Augen abspielte.
Es war der in die Wirklichkeit hineingedrängte Albtraum, dem sie nicht entkommen konnte.
Bisher hatte sie die Bestie nur in der Dunkelheit gesehen. Da war sie ihr mehr wie ein dunkles Gebilde vorgekommen, wie ein auch innen gefüllter Schatten.
Nun nicht mehr.
Sie sah ihn im Grau der Halle aus der Öffnung steigen, und sie wusste nicht, was sie von ihm halten sollte. Sie hätte ihn begriffsmäßig nicht beschreiben können, denn diese Bestie war nicht das, was sie unter einem Wolf verstand.
Sie war größer. Ein mächtiger, muskulöser Körper, der völlig nackt und nur an bestimmten Stellen behaart war. So sah er mehr aus wie der Körper eines Menschen, auch wenn die Hände und Füße denen eines Raubtieres glichen.
Er hatte sich aus der Gullyöffnung gedrückt und hockte jetzt geduckt vor ihr. Die Arme vorgestreckt. In dieser Haltung erinnerte er Kelly an einen Gorilla.
Gesicht, Fratze? Da stimmte beides. Aber mehr Schnauze als Gesicht. Da war die Nase flach und vorgestreckt, und der Mund verdiente die Bezeichnung Maul. Die hohe Stirn, nach hinten abgeflacht, dann ein kahler Schädel mit einigen Haaren oder Fell darauf und die bösen Augen, die Kelly anglotzten.
Sie sah, dass auch die Ohren durch einen dünnen Flaum aus Fell bewachsen und in ihrer Größe mit den menschlichen nicht zu vergleichen waren.
Er grinste. Oder nicht? Seine Lippen zuckten. Ja, es gab sie noch. Kelly sah für einen Moment einen Teil der Zähne, die ihr übergroß vorkamen.
Dann lachte er.
Anders konnte sie sich dieses Geräusch
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