12 - Im Auge des Tigers
Brian ging ins Wohnzimmer zu-rück. Unschlüssig, ob er lachen oder kotzen sollte, griff er wieder nach der International Herold Tribüne.
»Ich fass es nicht«, flüsterte Dominic, als die Tür aufging.
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»Geht mir so ähnlich, Enzo«, antwortete Jack. »Kommt rein.«
»Na, ist doch recht passabel, die Absteige, wie?«, fragte Brian und folgte seinem Bruder.
»Nicht ganz mit dem Holiday Inn Express zu vergleichen, aber man muss nehmen, was man kriegen kann. Wenn ich erst mal ’nen Doktor im Lebenslauf stehen hab…« Jack deutete lachend auf zwei Stühle. »Setzt euch doch. Ich habe extra mehr Kaffee bestellt.«
»Der ist hier ausgezeichnet. Und die Croissants hast du auch schon entdeckt, wie ich sehe.« Dominic schenkte sich selbst ein und klaute ein Hörnchen. »Warum zum Teufel haben sie dich denn hergeschickt?«
»Wahrscheinlich, weil wir drei uns schon kennen.« Jack bestrich sein zweites Croissant mit Butter. »Wisst ihr was?
Ich frühstücke noch eben zu Ende, und dann machen wir einen kleinen Spaziergang zu dem Ferrari-Händler rüber und unterhalten uns. Wie gefällt euch Wien?«
»Wir sind erst seit gestern Nachmittag hier, Jack«, klärte Dominic ihn auf.
»Das wusste ich nicht. Ich hab mir sagen lassen, euer London-Aufenthalt war sehr erfolgreich.«
»Wir können nicht klagen«, antwortete Brian. »Aber davon erzählen wir dir später.«
»Okay.« Jack frühstückte weiter, während Brian einen Blick in die Zeitung warf, die auf dem Tisch lag. »Zu Hause steht immer noch alles Kopf wegen der Anschläge. Ich musste am Flughafen sogar die Schuhe ausziehen. Nur gut, dass ich frische Socken anhatte. Offenbar passen sie scharf auf, ob es jemand eilig hat, das Land zu verlassen.«
»Das war aber auch wirklich eine üble Geschichte«, bemerkte Dominic. »Hat es jemanden erwischt, den du kann-test?«
»Gott sei Dank nicht. Selbst Dad kannte keins der Opfer persönlich, obwohl er doch wirklich Gott und die Welt kennt. Und wie steht’s mit euch?«
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Brian warf ihm einen eigenartigen Blick zu. »Niemand, den wir kannten, nein.« Er hoffte, damit die Seele des kleinen David Prentiss nicht zu beleidigen.
Jack verdrückte das letzte Croissant. »Ich dusche noch schnell, danach könnt ihr mir alles zeigen.«
Brian hatte die Zeitung durch und schaltete den Fernseher ein, um sich auf CNN – dem einzigen amerikanischen Sender, den das Imperial empfing – die New Yorker 5-Uhr-Nachrichten anzusehen. Die letzten Opfer der Anschläge waren am Vortag beigesetzt worden, und die Reporter fragten die Hinterbliebenen, was sie angesichts des Verlustes empfänden. Was für eine idiotische Frage!, tobte der Marine innerlich. Auch noch Salz in die Wunden zu streuen – als ob die Terroristen nicht schon genug Leid verursacht hätten.
Und die Politiker faselten auch nur sinnlos herum von wegen Amerikas Verpflichtungen in dieser schweren Stunde und was für Maßnahmen ergriffen werden müssten.
Tja, dachte Brian, wir ergreifen diese Maßnahmen für euch, Leute. Aber wenn sie es je erführen, würden sie sich wahrscheinlich ganz gewaltig in ihre Seidenschlüpfer machen.
Diese Vorstellung erfüllte Brian mit einer gewissen Befriedigung. Irgendjemand musste doch für einen Ausgleich sorgen, und das war jetzt ihr Job.
Im Bristol wurde Fa’ad gerade wach. Auch er bestellte Frühstück. Er hatte Anweisung, sich am kommenden Tag mit einem anderen Kurier zu treffen, um eine Nachricht von ihm in Empfang zu nehmen und anschließend entsprechend weiterzuleiten. Bei wichtigen Mitteilungen ließ die Organisation äußerste Vorsicht walten. Die wirklich entscheidenden Nachrichten wurden ausschließlich mündlich weitergegeben. Die Kuriere kannten lediglich Überbringer und Empfänger, waren also immer nur in Dreierzellen organisiert. Auch das hatten sie von dem toten KGB-Offizier gelernt. Der Überbringer war in diesem Fall Mahmoud Mohamed Fadhil, der aus Pakistan nach Wien anreisen 532
würde. Ein solches System konnte theoretisch zwar auch geknackt werden, aber nur mithilfe gründlicher und lang-wieriger Polizeiarbeit – die wiederum mühelos zunichte gemacht werden konnte, indem man einen einzigen Mann aus der Kette entfernte. Das Problem war allerdings, dass das unerwartete Ausklinken eines Gliedes aus der Kette zur Folge haben konnte, dass eine Nachricht ihr Ziel nicht erreichte, aber das war bisher noch nicht vorgekommen, und man rechnete auch nicht damit. Fa’ad hatte kein schlechtes Leben. Er reiste viel,
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