12 - Im Auge des Tigers
ein Terrorist gewesen sein, der den Israelis eine Lektion erteilen wollte?«
»Oder der eine Bedrohung aus der Welt schaffen wollte, die ihm besonderes Unbehagen bereitete. Wie auch immer, jedenfalls war der arme Teufel Israeli, nicht wahr? Und Angehöriger der Botschaft. Das allein könnte als Grund schon ausgereicht haben. Andererseits, wenn ein Geheimagent – insbesondere ein hochkarätiger – ins Gras beißt, geht man wohl kaum von einem Unfall aus, wie?«
»Ist damit zu rechnen, dass der Mossad uns um Unterstützung bittet?« Im Grunde kannte Granger die Antwort selbst. Der Mossad war wie ein Kind im Sandkasten, das niemals, unter keinen Umständen, jemanden an seine Förm-chen ließ. Ehe diese Leute jemanden um Hilfe ersuchten, mussten sie a) in einer verzweifelten Lage stecken und b) 84
überzeugt sein, dass sie von dem Betreffenden etwas bekommen konnten, das sie aus eigener Kraft niemals erreichen würden. Dann erst kämen sie auf einen zu wie der verlorene Sohn.
»Die haben bis jetzt nicht bestätigt, dass dieser Bursche –
Greengold hieß er – überhaupt zum Mossad gehörte. Das würde den italienischen Cops immerhin eine kleine Hilfe-Stellung sein. Die könnten sogar ihre Spionageabwehr einschalten, aber Langley hat keinen Hinweis darauf, dass davon jemals die Rede war.«
Doch auf derartige Gedanken kam man in Langley nun einmal nicht, das war Granger klar. Ein Blick in Jerrys Augen bestätigte ihm, dass dieser das Gleiche dachte. Die CIA kam nicht auf derartige Gedanken, weil es unter den Nachrichtendiensten heutzutage höchst zivilisiert zuging. Man brachte nicht die Mitarbeiter des anderen um, denn das war schlecht fürs Geschäft. Der andere könnte es einem mit gleicher Münze heimzahlen, und wenn man Guerillakriege in den Straßen irgendeiner ausländischen Stadt anzettelte, blieb am Ende die eigentliche Arbeit liegen. Die wichtigste Aufgabe der Nachrichtendienstler bestand darin, der eigenen Regierung Informationen zu liefern, nicht Kerben in ihre Colts zu ritzen. Die Carabinieri gingen folglich von einem gewöhnlichen Verbrechen aus, weil ein Diplomat für die staatlichen Organe jedes anderen Landes unantastbar war, geschützt durch internationale Abkommen und durch eine Tradition, die bis ins Perserreich unter Xerxes zurückreichte.
»Okay, Jerry, Sie sind der Mann mit dem professionellen Riecher«, bemerkte Sam. »Was denken Sie?«
»Ich denke, dass da draußen möglicherweise ein unliebsames Gespenst umgeht. Dieser Mossad-Typ geht in ein schickes Restaurant in Rom, isst zu Mittag und trinkt ein gutes Glas Wein. Vielleicht holt er an einem geheimen Ü-
bergabeort Material ab… Ich habe mal auf dem Stadtplan nachgesehen, von der Botschaft bis zu diesem Restaurant ist 85
es schon ein ordentlicher Spaziergang – etwas zu weit, als dass man regelmäßig zum Mittagessen dorthin gehen wür-de, es sei denn, dieser Greengold war Jogger.
Und die Tageszeit kommt mir auch merkwürdig vor. Von daher – und sofern er nicht gerade ein echter Fan des Kü-
chenchefs von Giovannis Restaurant war – würde ich jede Wette eingehen, dass er dort ein Treffen oder eine Übergabe geplant hatte. Wenn das zutrifft, dann wurde ihm dort auf-gelauert. Und seinem Gegner – wer immer das sein mag –
ging es nicht darum, ihn zu identifizieren, sondern ihn aus dem Weg zu schaffen. Für die Polizei vor Ort mag das nach einem Raubüberfall aussehen. Für mich sieht es nach ge-plantem Mord aus, und zwar nach der Arbeit eines Profis.
Das Opfer hatte keinerlei Chance, sich zu wehren. Genau so bringt man einen Agenten um – man kann nie wissen, was er so an Selbstverteidigungskünsten drauf hat. Wenn ich Araber wäre, würde ich jedenfalls einem Kerl vom Mossad alles zutrauen. Da würde ich nichts riskieren. Keine Pistole, damit keine Indizien zurückbleiben – keine Kugel, keine Patronenhülse. Der Täter nimmt die Brieftasche mit, damit das Ganze wie ein Raubmord aussieht, aber er hat einen Mossad-rezident umgebracht und damit vermutlich ein Zeichen gesetzt. Nicht nur für seinen Hass auf den Mossad –
vor allem hat er bewiesen, dass er mal eben so einen von dessen Leuten umbringen kann. So einfach, wie man seinen Reißverschluss hochzieht.«
»Planen Sie ein Buch über dieses Thema, Jerry?«, fragte Sam heiter. Der Chefanalytiker pickte ein winziges Stückchen handfester Information heraus und schmückte es zu einer kompletten Seifenoper aus.
Rounds legte den Finger an die Nase und lächelte
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