12 - Im Auge des Tigers
leitete ihre Ergebnisse an andere Stellen weiter – ob diese dann irgendetwas daraus machten, fiel nicht in den Zuständigkeits- und Interessenbereich dieser Behörde.
Der Chef von Hendleys Abteilung für Analysen und Informationsbeschaffung hieß Jerome Rounds, von seinen Freunden Jerry genannt. Er hatte seinen Doktorgrad in Psychologie an der University of Pennsylvania erworben. Anschließend arbeitete er im Office of Intelligence and Re-search – dem I&R – des State Department, danach wechselte er zu Kidder Peabody, wo er für ein Gehalt gänzlich anderer Art Analysen gänzlich anderer Art durchführte.
Schließlich wurde Hendley, damals noch Senator, bei einem Lunch in New York persönlich auf ihn aufmerksam.
Rounds hatte sich in der Brokerfirma als hauseigener Ge-dankenleser einen Namen gemacht und dabei nicht schlecht verdient, war aber mit der Zeit zu der Ansicht gelangt, dass Geld seine Wichtigkeit verlor, wenn erst einmal die Ausbildung der Kinder gesichert und das Segelboot abbezahlt war. Er hatte sich an der Wall Street aufgerieben, und so wäre ihm Hendleys Angebot schon vier Jahre früher höchst willkommen gewesen. Zu seinen Aufgaben gehörte es, die Gedanken anderer internationaler Broker zu lesen – eine der Fähigkeiten, die er in New York errungen hatte. Er arbeitete sehr eng mit Sam Granger zusammen, der auf dem Campus sowohl die Abteilung für Devisengeschäfte leitete als auch Chef der Einsatzabteilung war.
Kurz vor Büroschluss betrat Jerry Rounds Sams Büro. Jer-82
ry und seine 30 Mitarbeiter hatten den Auftrag, sämtliche Informationen zu sichten, die zwischen NSA und CIA ausgetauscht wurden. Diese Leute mussten nicht nur in un-glaublichem Tempo lesen können, sondern zudem über eine ausgeprägte Spürnase verfügen. Rounds war gewissermaßen der Bluthund des Unternehmens.
»Sehen Sie sich das mal an«, forderte er Granger auf, warf ihm ein Blatt Papier auf den Schreibtisch und setzte sich.
»Der Mossad hat den Leiter einer seiner Auslandsstützpunkte verloren? Hmm. Wie ist es dazu gekommen?«
»Die Polizei vor Ort geht davon aus, dass es ein Raub-
überfall war. Mit einem Messer getötet, Brieftasche fehlt, keine Anzeichen für einen längeren Kampf. Offenbar trug er keine Waffe bei sich.«
»Warum auch – in einer zivilisierten Stadt wie Rom?«, bemerkte Granger. Doch das würde sich ab sofort ändern –
wenigstens für einige Zeit. »Woher haben wir die Informationen?«
»In den dortigen Zeitungen stand, dass ein Mitarbeiter der israelischen Botschaft beim Pinkeln umgebracht wurde.
Der Leiter unserer CIA-Außenstelle vor Ort hat rausgekriegt, dass der Mann ein Spion war. Ein paar Leute in Langley zermartern sich das Hirn darüber, was das Ganze zu bedeuten hat, aber am Ende werden sie sich wohl doch mit der Version der Polizei vor Ort zufrieden geben, weil es die einfachste Erklärung ist. Ein Toter ohne Brieftasche – ein Raubüberfall, bei dem dem Räuber die Hand ausgerutscht ist.«
»Meinen Sie, die Israelis werden das schlucken?«, fragte Granger.
»Eher würden sie bei einem Dinner in ihrer Botschaft Schweinebraten servieren. Der Messerstich wurde zwischen dem ersten und dem zweiten Halswirbel angesetzt. Ein Straßenräuber würde seinem Opfer eher die Kehle durch-schneiden, aber ein Profi weiß, dass es auf diese Weise zu viel Blutvergießen und Radau gibt. Die Carabinieri arbeiten 83
an dem Fall – bisher scheinen sie allerdings nicht den win-zigsten Anhaltspunkt zu haben. Vielleicht hat ja jemand in dem Restaurant ein Supergedächtnis. Darauf würde ich allerdings keine Wette abschließen.«
»Und was hat das alles zu bedeuten?«
Rounds lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Wann wurde zuletzt ein Stützpunktleiter irgendeines Geheimdienstes umgebracht?«
»Schon eine Weile her. Die Agency hat in Griechenland mal einen verloren – das war diese einheimische Terroris-tengruppe. Der Chief of Station wurde von einem Hurensohn aus den eigenen Reihen ans Messer geliefert… ein Überläufer, ist über die Mauer und auf und davon, wahrscheinlich trinkt er jetzt Wodka und fühlt sich einsam. Die Briten haben vor ein paar Jahren im Jemen einen Mann eingebüßt…«
Rounds verstummte.
»Sie haben Recht. Einen Station Chief zu ermorden, bringt nicht viel. Wenn man ihn identifiziert hat, beobachtet man ihn, findet heraus, wer seine Kontaktpersonen und seine Untergebenen sind. Ihn einfach umzulegen, bringt eher Verlust als Gewinn. Sie meinen also, es könnte
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